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Tussie-Mussies · René & Radka 1 / 1
Interview

INTERVIEW

René & Radka

Rene_Radka

FOTOGRAFIE, STYLING, SET DESIGN René & Radka MODELS Isla, Eliette, Railey, Grace, Ava, Plum, Victor, Luca, Morgan KAMERA Leica S (007) mit Summarit-S 1:2,5/35mm Asph.  Summarit-S 1:2,5/70mm Asph. und APO-Macro-Summarit-S1:2,5/120mm

Die Floriografie der Viktorianischen Zeit, die kryptographische Übermittlung verdeckter Botschaften durch Blumenarrangements, war Inspirationsquelle für„Tussie-Mussies”, bei dem das Fotografen-Duo Rene & Radka aus Los Angeles Kinder mit ansprechenden floralen Kompositionen in Szene setzt. Es ist ein Exkurs eines langfristigen Kunstprojektes, das in Ausstellungen und Buchbänden münden soll.

S Magazin: Ihr seid ein Fotografenduo – wie funktioniert so etwas, und wie teilt ihr die Arbeit unter euch auf?
René & Radka: Wir sind seit 16 Jahren ein Team. Unsere Zusammenarbeit durchlief eine Entwicklung wie jede andere Karriere auch, und sie hatte viele Facetten und Phasen. Radka ist der kreative Geist, die Art-Direktorin, und meistens hat sie die Kamera in der Hand. … René kümmert sich um die technische Seite, um das Licht und die Postproduktion. Wir sind beide Fotografen mit verschiedenen Talenten und Schwächen.

Ihr habt als Modefotografen schon Erfahrungen in Paris, London, New York und jetzt in Los Angels gemacht. Sind das verschiedene Welten und Märkte, oder funktioniert alles quasi gleich, egal wo ihr seid?
Es sind sehr verschiedene Märkte. Mode auf internationalem Level funktioniert eher universell, aber wenn man lokal arbeitet, hat jedes Land eine eigene Herangehensweise und einen eigenen Geschmack.

Am Kunstprojekt „Tussie-Mussies“ arbeitet ihr schon seit Längerem. Inwieweit bringt ihr dabei Kunst und Kommerz unter einen Hut, und weshalb legt ihr besonderen Wert auf diese künstlerische Ausrichtung? Unterscheiden sich die Arbeitsweisen, oder übernehmt ihr diesen künstlerischen Ansatz auch zunehmend in eure kommerzielle Arbeit?
Wir sehen uns nicht als Mode-, Kunst- oder Werbefotografen, sondern einfach als kreative Menschen, die sich über die Fotografie ausdrücken. Solange man nicht aus reichem Hause kommt oder anders finanziell unterstützt wird, muss man immer zwischen Kunst und Kommerz jonglieren, falls man das Bedürfnis hat, eigene, freie Arbeiten zu machen und nicht nur Auftragsarbeiten. Wir haben über Jahre sehr viel kommerziell gearbeitet, weil wir damit einfach unseren Lebensunterhalt verdient haben, aber auch weil wir das gern gemacht haben. Wir haben dabei viel gelernt, es ermöglichte uns zu reisen und viele interessante Menschen kennenzulernen. Heute versuchen wir, mehr Energie in unsere Kunstprojekte zu investieren, einfach, weil man als Künstler mit der Zeit wächst und andere Bedürfnisse entwickelt.

Eigene Kunstprojekte zu realisieren, ist natürlich viel schwieriger. Man hat keine festen Deadlines, sondern muss sich jeden einzelnen Tag selbst motivieren und wie jeder Künstler mit den üblichen Zweifeln und Unsicherheiten kämpfen. Dagegen haben Auftragsarbeiten einen klaren Ablauf, einen Zeitplan und ein Konzept. Wir können zwar sehr gut als nur Ausführende arbeiten, sind aber glücklicher, wenn wir uns in die Art-Direktion einbringen können. Ich denke, das erwarten unsere Kunden auch von uns, und es ist uns sehr wichtig.

„Tussie-Mussies“ ist bewusst in Richtung Ausstellung konzipiert. Weshalb? Und es wird noch mehr Kapitel geben: Könnt ihr mehr über das ganze Projekt erzählen?
Diese kleine Porträtserie mit den kleinen Mädchen und den Blumen ist sehr spontan entstanden, im Frühling, der Jahreszeit, in der alles blüht. Sie ist angelehnt an die Floriografie, der Sprache der Blumen des Viktorianischen Zeitalters. Blumen und Pflanzen hatten damals in der sehr sittenstrengen Ära verschiedenste Bedeutungen und Funktionen in der Kommunikation. Ihre Bedeutung war so groß, dass es regelrechte Blumenwörterbücher gab! Man übermittelte durch Blumen Botschaften, die zu der Zeit, unverblümt geäußert, als nicht akzeptabel gegolten hätten. Diese mysteriöse Aura hat uns sehr angezogen. Der Tussie-Mussies steht für kleine, duftende Bouquets, die, oft in kleine Spitzentüchlein gewickelt, aus verschiedenen Kräutern und einer zentralen Blume komponiert waren – alles hatte eine spezifische Bedeutung. Das Ganze ist schon eine sehr komplexe Art der Kommunikation gewesen!

Ehrlich gesagt, hoffen wir bei solchen Projekten immer, dass sie es schaffen, so stark zu sein, dass man sie ausstellen möchte, aber wirklich vorhersagen kann man es nicht. Wir haben Tussie-Mussies eher als kleines Nebenprojekt innerhalb dieses größeren Projektes angefangen, und es ist einfach etwas weiter gewachsen als vorgesehen. Man muss solche Shootings natürlich vorbereiten und ausarbeiten, aber man kann leider nicht einplanen, dass man an dem oder dem Tag ein Bild macht, das es in eine Galerie schafft – so wie man nicht morgens aufstehen und sich vornehmen kann, einen Hit zu komponieren oder einen genialen Song. Es passiert, oder es passiert nicht. Einige der Bilder schaffen es nicht in die finale Auswahl, auch wenn man dachte, dass man eine tolle Idee hatte. Und dann macht man schnell ein Bild zwischen zwei Location-Wechseln, ganz spontan und unvorbereitet, und es passiert etwas Besonderes.

Die Fotografie ist ein Medium, das einen Moment festhält – das ist die Magie. Deswegen dauern Kunstprojekte manchmal lange. Ich vergleiche es nochmal mit der Musik: Es gibt Alben, die im Laufe einer Nacht komponiert werden, und es gibt solche, deren Fertigstellung sich über Jahre erstreckt; es ist nicht vorauszusehen. Gleichzeitig ist es wichtig, sich selbst irgendeine eine Form von Deadline zu setzen, ein Ziel.

Unser Ziel ist es, bis Ende des Jahres ein größeres Kinderprojekt zu kreieren, einen künstlerischen Kurzfilm, und nächstes Jahr ein Buch herauszubringen. Wir versuchen, unsere Modefotografie einzuschränken und mehr und mehr eigene Kunstprojekte zu verwirklichen.

Wie ist es, mit Kindern zu arbeiten. Ist das anspruchsvoller, schwieriger oder leichter als mit Erwachsenen?
Kinder sind sehr besondere Wesen, und diese pure Energie, die sie ausstrahlen, ist einfach sehr inspirierend. Es kostet viel Energie, mit ihnen zu arbeiten, aber man bekommt auch sehr viel zurück. Kinder sind spontaner und unkontrollierbarer als Erwachsene; man muss schneller arbeiten, genau wissen, was man möchte, und es dem Kind auch weitervermitteln können. Gleichzeitig muss man akzeptieren, dass das Resultat vielleicht ganz anders sein wird als erwartet. Das macht die Arbeit eben sehr spannend.

In der öffentlichen Wahrnehmung gilt es häufig als problematisch, Kinder als Sujet zu wählen. Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht und – wenn ja – wie geht ihr damit um?
Wir haben über die Jahre einfach verstanden, dass manche Leute mit unseren Kinderfotos gar nichts anfangen können; sie finden sie düster, unheimlich oder so ähnlich. Andere wiederum sind begeistert, sehen dahinter ganz andere Dinge. Es ist ganz gut so. Wir freuen uns, wenn wir es schaffen, in Menschen Emotionen zu wecken, auch wenn es andere sind, als wir gedacht haben. Unsere Kunstfotos behandeln keine provokativen Themen. Wir fühlen uns somit auf keine Art und Weise beschränkt, wenn wir mit Kindern arbeiten. Die Eltern sind immer dabei oder mit dem Konzept einverstanden, und da wir selbst Eltern sind, gehen wir nicht an Orte, an denen wir uns selbst unwohl fühlen würden.

Nach welchen Kriterien wurden die Kinder ausgewählt? Habt ihr vorher schon gewusst, wie das Motiv aussehen wird und danach die passenden Kinder ausgewählt?
Es ist sehr unterschiedlich. Manchmal haben wir eine genaue Idee – wie das Mädchen mit der Blumenkrone und dem schwarzen Vogel – und suchen dann den passenden Charakter, manchmal treffen wir ein Kind und haben Lust, unbedingt mit ihm etwas zu machen. Wir arbeiten mit Kindermodelagenturen, mit Kindern unserer Freunde, mit Freuden von unserem Sohn …

Die Bilder sind teilweise sehr opulent. Bis zu welchem Grad sind diese Bilder inszeniert?
Unsere Arbeit ist darauf aufgebaut, so viel wie möglich echt zu fotografieren, anstatt es später in der Postproduktion hinzuzufügen. Wir benutzen den Computer eher als eine Hilfe, um das Bild zu schleifen und zu polieren, aber das meiste ist real am Set inszeniert.

Wer hat euch beim Styling geholfen oder habt ihr das selbst gemacht?
Man muss als Fotograf immer wissen, wie man sich das Bild visuell vorstellt und es kommunizieren lernen. Die Zusammenarbeit mit den Stylisten ist eine sehr enge und eine der wichtigsten. Die Kunstserie mit den Kindern stylen wir selbst, da wir eine Vision haben, die wir am besten selbst verwirklichen möchten. Genauso ist es mit dem Set-Design und den Requisiten. Wir benutzen bei Kindern in der Regel kein Make-up, es sei denn es soll eine spezielle Maske oder ein Charakter dargestellt werden. Was aber selten vorkommt.

Die Bilder haben teilweise einen sehr analogen Look. Inwiefern habt ihr das bewusst so gestaltet, und welche Rolle spielen dabei die verwendeten Optiken?
Wir gehören zur Analoggeneration. Wir haben gelernt, Filme einzulegen, Negative zu entwickeln, und wir haben jahrelang alle Abzüge in unserem hauseigenen Labor selbst angefertigt. In Farbe wie auch in Schwarzweiß. Wir versuchen dies irgendwie in die digitale Welt zu transportieren. Eine gute Optik ist dabei ein absolutes Muss, insbesondere wenn sie dabei noch einen analogen Look erzeugen wie die Leica-Optiken, dann macht es sie für uns geradezu unentbehrlich. Eine wichtige Rolle spielen auch die Farbwiedergabe, die Kontraste und das Licht. Wir lieben den Look der Analogfotografie – das ist, was wir sind.

Wie lange habt ihr in etwa für ein Bild gebraucht, bis es fertig war?
Das ist sehr unterschiedlich: Manche Bilder erforderten dann doch eine extrem lange Postproduktion, wie zum Beispiel das Mädchen mit den Flamingos oder der Blumenkrone, andere fast keine. Die Blumenkrone haben wir selbst kreiert, aber auch all die Ebenen der finalen Zusammenstellung, die René dann über einen Monat hinweg perfekt übereinander komponiert hat, bis wir glücklich waren. Die Flamingos sind natürlich ebenfalls komponiert, auch wenn wir versucht haben, möglichst viel real zu fotografieren. Aber Tiere kann man nicht immer kontrollieren und schon gar nicht diese rosa Vögel. Andererseits enthält die Serie auch Bilder, die kaum eine große Bearbeitung benötigten. Oft vergeht jedoch ein halbes Jahr von der Grundidee über das Shooting bis zur finalen Retusche.