INTERVIEW
Andrea Mete
Andrea Mete Misaki Leica Q
Die Frau und die weibliche Schönheit sind das bevorzugte Sujet von Andrea Mete, das er experimentell anlegt und dabei schnappschuss-artig anmutende Elemente mit stark inszenierten verbindet. In „The Truth“ lebt er diese Leidenschaft mit japanischem Flair und der Zufallsbekanntschaft Misakiaus.
Deine Fotografie ist experimentell, zumal du auch mit Effekten arbeitest, die wie Bildstörungen wirken oder an Schnappschüsse erinnern. Wie würdest du deinen Ansatz beschreiben?
Mein ganzes Leben ist experimentell – jeden Tag lerne und erfahre ich etwas Neues. Meine Fotografie ist sozusagen eine direkte Reaktion auf mein tägliches Leben. Ich betrachte die Fotografie und auch die Nachbearbeitung als Momente der Freiheit. Während eines Fotoshootings kann ich mir aussuchen, welchen Moment ich einfangen will; in der Nachbearbeitung kann ich dann auf meine persönliche Wahrnehmung dieses Moments eingehen. Mein Ansatz ist es, in jedem Moment die Wahrheit zu suchen und visuell zu transportieren.
Der weibliche Körper spielt in deiner Fotografie eine zentrale Rolle. Ist das für dich ein unerschöpfliches Thema? Warum?
Die Frauen in meiner Familie und in meinem Freundeskreis haben in meinem Leben eine große Rolle gespielt. Ich empfinde großen Respekt für sie und bin absolut von ihnen fasziniert. Schönheit ist ein unerschöpfliches Thema für mich. Es ist zutiefst persönlich und allumfassend. Frauen verkörpern Schönheit und die facettenreiche Komplexität des Lebens auf ganz wunderbare Weise.
Im Moment arbeite ich auch an einem Projekt über Frauen, das in eine Ausstellung münden wird und von einigen gedruckten Publikationen begleitet werden wird.
Wie wählst du deine Protagonisten? Arbeitest du mit professionellen Models oder auch mit Nicht-Models?
Meistens treffe ich die Leute, die ich fotografiere, auf Reisen oder durch meinen erweiterten Freundeskreis oder über soziale Netzwerke. Für meine persönlichen Projekte wähle ich Menschen aus, zu denen ich mich hingezogen fühle, egal ob sie für eine Agentur arbeiten oder nicht. Bei Auftragsarbeiten wählt der Klient natürlich oft die Models nach seinen jeweiligen Zielvorstellungen aus; andere Klienten wiederum geben mir mehr kreative Freiheit – jede Situation ist unterschiedlich.
Deine Bilder strahlen Intimität und Vertrautheit aus. Wie schaffst du dieses Ambiente, in dem sich deine Protagonisten offenbar wohlfühlen, obwohl sie sich vor der Kamera nackt zeigen?
Zwischenmenschliche Beziehungen sind für mich absolut essenziell. Ohne sie gibt es keinen Raum, in dem Emotionen existieren können. Authentizität und Intimität entstehen durch gegenseitigen Respekt. Für mich ist die Fotografie das schönste und persönlichste aller Medien: Man kann die Welt durch die Augen eines anderen Menschen sehen und in seine Seele eintauchen, einfach, indem man sich ein Bild ansieht. Ich finde visuelle Kommunikation absolut faszinierend und versuche jeden Tag, meine Gefühle in meiner Arbeit zum Ausdruck zu bringen.
Wie kommunizierst du deine Bilder? Welche Rolle spielen soziale Medien und Ausstellungen dabei? Und wie ist das Feedback?
Soziale Medien eröffnen einem unglaubliche Chancen, weil sie Künstlern tagtäglich kostenlosen Zugang zu einem weltweiten Publikum ermöglichen. Ich liebe es, meine Gefühle zu teilen und somit auch meine Bilder. Im Moment bereite ich Kooperationen mit Künstlern, Architekten und Musikern aus der ganzen Welt vor.
Das Feedback ist umwerfend – ich erhalte Nachrichten aus Indien, dem Iran, Amerika, Kolumbien … Besonders interessant und inspirierend finde ich es, Nachrichten von jungen Männern aus konservativen Kulturen zu bekommen, die mich fragen, wie ich es schaffe, mit Frauen zu sprechen und sie auf diese Art zu fotografieren. Meine Antwort ist immer, dass ich sie mit dem größten Respekt behandle. Gleichzeitig erhalte ich aber auch immer wieder Nachrichten von Frauen, die mir erzählen, dass meine Bilder sie befreit und dazu ermutigt haben, sich offen auszudrücken.
Wo hast du diese Strecke fotografiert, und wie bist du auf Misaki gestoßen? Was ist das Besondere an ihr?
Ich habe Misaki in Tokio kennengelernt. Sie ist außerordentlich intelligent und hat einen tollen Sinn für Ironie. Ich liebe das Japanische – die Menschen dort haben eine elegante Sinnlichkeit, die in jeder Bewegung, jedem Blick zum Ausdruck kommt. Asiatische Frauen haben die besondere Fähigkeit, eine Symbiose von Präsenz und Absenz auszustrahlen. Das war es, was ich gemeinsam mit Masiki vermitteln wollte.
Du arbeitest vornehmlich mit der Leica Q, und beschränkst dich somit bewusst auf eine 28-mm-Brennweite. Was ist der Reiz daran, und wie kommst du mit dieser Limitierung klar?
Früher habe ich auf Reisen und bei Aufträgen stets mit Zoomobjektiven gearbeitet. Mit der Leica Q arbeite ich nun anders. Ich sehe die 28-mm-Brennweite nicht als Beschränkung, sondern als Bereicherung. Durch sie muss ich eine ganz andere Art der Verbindung mit der Person und zur Situation aufbauen, die ich fotografiere. Außerdem konzentriert man sich mit einer Festbrennweite mehr auf den Augenblick. Es kann manchmal wirklich eher von Vorteil sein, dass ein Objektivwechsel gar nicht zur Debatte steht.
Für das S Magazin hast du mit der Leica Q ein kurzes Video gedreht.
Hat die Kamera auch hier Merkmale, die für deine Arbeit besonders nützlich sind? Du scheinst ja teilweise die Blende gern ganz aufzureißen und setzt Bokeh bewusst ein.
Die Q ermöglicht es mir, das, was ich sehe, authentisch wiederzugeben. Videos und Unschärfe sind dabei Teil der Erforschung einer Szene oder eines Moments. Oft entscheide ich mich bewusst für den Einsatz von Unschärfe, weil sie dann am besten reflektiert, wie ich mich gerade fühle. In meinem Leben ist nicht immer alles im perfekten Fokus, und die Chance, ein Gefühl dieser Art bildlich auszudrücken, bedeutet mir alles. Ein Video besteht aus sich bewegenden Bildern – aus aneinandergereihten Fotografien. Es ist ein wenig wie das Leben selbst: eine Sequenz von kurzen und dennoch bedeutsamen Momenten.
Was würdest du als Fotograf noch gern erreichen?
Ich möchte weiterhin reisen, neue Kulturen kennenlernen, neue Abenteuer erleben und mit interessanten Künstlern zusammenarbeiten. Ich will meine Leica überallhin mitnehmen – auf jede Reise und zu jedem Projekt – und sie dann in ein paar Jahren meinem Sohn schenken, genau wie es mein Vater mit mir getan hat.