„The Innocents“ – eine fantasievoll-abstrakte Teeparty-Geschichte von Michael Paniccia und dem Creative Director Andrew Basile – sie zeigt eine Welt, aus der ihre exzentrischen Unschuldigen niemals den Weg aus dem magischen Labyrinth in die Realität finden, sondern in stetigem Eskapismus verhaftet bleiben.
Deine Modefotografie scheint mehr arty als kommerziell. Sieht du es auch so?
Es freut mich wirklich sehr, das zu hören! Ich absolvierte eine traditionelle Ausbildung als Kunstfotografin, und würde definitiv sagen, dass mein Ansatz mehr im künstlerischen als kommerziellen Bereich angesiedelt ist. Für viele Fotografen ist es schwierig, die Balance zwischen kommerziellen und künstlerischen Projekten zu finden. Genau dieses Gleichgewicht ist aber ausschlaggebend sowohl für beruflichen Erfolg als auch für die innere Zufriedenheit. Wenn ich merke, dass meine kommerziellen Projekte Überhand nehmen, widme ich mich einem künstlerischen Projekt um dieses Gleichgewicht wiederherzustellen. Ich arbeite also stets an neuen Kunstprojekten, die auch vorwiegend auf der Fotografie basieren.
Fotografierst du lieber on Location oder im Studio? Warum?
Ich ziehe on-Location-Shootings absolut vor, weil sich dort immer wieder unerwartete Möglichkeiten eröffnen.
Findest Du als New Yorker Fotograf deine Stadt inspirierend genug?
New York ist synonym mit Veränderung. Diese Veränderungen erfolgen so häufig und mit einer derartigen Geschwindigkeit, dass die Stadt nicht nur extrem inspirierend, sondern auch stets am Puls der Zeit ist.
Für S Magazine hast du die fantasievolle Geschichte „The Innocents“ geschossen. Worum geht es?
Wir hatten die Idee, eine Strecke über eine Teeparty im Freien zu fotografieren, und hatten das große Glück, dafür einen fantastischen Garten angeboten zu bekommen – mit riesigen Hecken, die so angelegt sind, dass sie an ein Labyrinth erinnern. Es war im Oktober, daher gab es neben dem üppigen, wunderbar strukturierten Blattwerk auch viele gefallene Blätter. Obwohl wir die Story im Herbst fotografierten, beruhte unser Konzept eigentlich auf einer frühlingshaften Stimmung. Um diese Atmosphäre zu vermitteln, beschlossen wir, die Bäume und Sträucher mit einer frühlingshaften Farbpalette nachzufärben. Diese Nachbearbeitung verleiht den Bildern auch eine etwas abstrakte Qualität.
Die Kostüme und Requisiten – irgendwie erinnert mich das an „Alice im Wunderland“ – liege ich falsch?
Die Assoziation zwischen Teeparty und Alice im Wunderland ist schon naheliegend. Aber wir sahen das Ganze eher als eine separate Welt, in der die Charaktere permanent in diesem Garten leben und ihn nicht verlassen können, egal wie sehr sie es auch versuchen. Ihre exzentrische Kleidung weist darauf hin, wie sich die Zeit vertreiben und ihr Leben an diesem traumähnlichen Ort gestalten. Es gibt gewisse Gemeinsamkeiten mit Alice in Wunderland, und ebenso mit dem Dokumentarfilm „Grey Gardens“: die Protagonisten strahlen eine gewisse Unschuld aus und sind gleichzeitig sehr exzentrisch, sodass das tägliche Leben die Form eines Deluxe-Eskapismus annimmt.
Die technische Bildbearbeitung ist sehr ausgefallen. Habt ihr experimentiert?
Das Beste an einem kreativen Unterfangen ist das Unerwartete. Wir planen zwar immer voraus, aber begrüßen es auch, wenn sich etwas ergibt, das das Grundkonzept bereichert. Zufälle können bewusst aufgegriffen und weiterentwickelt werden, um schließlich zur Einzigartigkeit des Endproduktes beizutragen.
Die Vorbereitungen, das Konzept und die Umsetzung – alles scheint sehr aufwendig und präzise zu sein. Erzähl uns, wie ist das Teamwork und die ganze Produktion gelaufen ist. Ist das typisch für deine Arbeitsweise?
Die Zusammenarbeit mit dem Creative Director war bei diesem Shooting um Vieles enger als es für mich üblich ist. Ich hatte die Ehre, mit Andrew Basile zusammenzuarbeiten, dessen Beitrag in allen Projektphasen unerlässlich war. Dieses Shooting war ein umfangreiches Unterfangen, mit einem großen Team aufgrund der komplexen Location. Wir gingen gemeinsam durch den Garten und paarten spezifische Orte mit bestimmten Outfits. Der Planungsprozess war sehr ausgiebig. Sowohl Andrew als auch ich sammelten und erstellten visuelle Referenzen, und Andrew kuratierte und organisierte den gesamten Ablauf, um sicherzustellen, dass alles auf Kurs blieb. Gemeinsam mit unserem Stylisten, Nicolas, suchten wir die Kleidungsstücke aus, die für die Strecke passend waren. Nicolas brachte auch Masken zu diesem Shooting, welche die Models auf unmittelbare und wundersame Weise verwandelten und ein weiteres Element der Eigenartigkeit zu den Bildern brachte.
Wie wichtig ist es eigene Ideen realisieren zu können. Wie fühlt man sich, wenn so ein Projekt, das sich ja zeitlich ziemlich in die Länge gezogen hat, dann endlich veröffentlicht wird?
Es ist ein unerlässlicher Teil des kreativen Prozesses, ein Konzept frei und in seiner Gesamtheit realisieren zu können. Viele Shootings beinhalten eine ganze Reihe von Vorlagen, darum ist ein reines Editorial eine Art Befreiung und Möglichkeit der künstlerischen Selbstverwirklichung. Besonders aufregend ist es, ein Konzept oder eine Idee zu entwickeln, ohne sie als endgültig festgelegt anzusehen. Wer ein Projekt punktgenau nach Planung realisiert und nicht bereit ist, gewisse Abweichungen zuzulassen, dem entgehen viele Möglichkeiten, etwas wirklich Einzigartiges zu schaffen. Ebenso wesentlich ist es, den Beiträgen von Team-Mitgliedern Platz einzuräumen – von den künstlerischen Vorstellungen der Haar- und Make-Up-Künstler bis zu den Posen der Models, die vielleicht etwas Neues oder Andersartiges zum Projekt bringen – und somit jedem Beteiligten zu erlauben, seine kreativen Grenzen auszudehnen. Wir hatten auch einen genialen Retusche-Meister namens Max in unserem Team, der in der Nachbearbeitung alles entfernte, dass wir nicht im Bild haben wollten, und auf kunstvolle Weise sicherging, dass alle Teile nahtlos zusammenpassten und ein harmonisches Endprodukt ergaben. Absolute Kooperation ist der Schlüssel zu einem erfolgreichen Shooting – und außergewöhnliche Talente, die etwas Großartiges erschaffen wollen.
Mit welcher Kamera hast du fotografiert und wie war sie für dich?
Ich fotografierte mit der Leica S – und ich liebe diese Kamera! Sie bietet viel Spielraum in RAW-Dateien, was ich sehr zu schätzen wusste. Außerdem war es wirklich ein Vergnügen, im Mittelformat zu arbeiten. Die zusätzlich geringere Schärfentiefe und Abwesenheit von Verzerrungen waren unfassbar. Ich würde sie liebend gerne zu meiner Kamerasammlung hinzufügen.