INTERVIEW
Christian Geisselmann
Christian Geisselmann @ Lila Management Delcey Fleming Masami Hosono @ ASORT Norah Salazar Daniela Freitas, Tatiana Pajkovic und Anja Leuenberger @ Premium Models Jakenna Gilbert Laurent Gloor Davi Costa und Romulo Pires Leica S mit Summarit-S 1:2,5/35 mm Asph., Summarit-S 1:2,5/70mm Asph., Apo-Macro-Summarit-S 1:2,5/120mm Asph.
Heruntergekommene Viertel Brooklyns sind die Kulisse von „The Gang“, in der Pariser Fotograf Christian Geisselmann rebellisch-markante Charakterfrauen in Szene setzt. Für den Kino-Look, der durch verblasste Farben und körnige Querformate unterstützt wird, diente die Fotografie Bruce Davidsons als Inspirationsquelle.
S Magazin: Du hast zwei Leidenschaften: die Musik und die Fotografie. Wie hängen die zusammen?
Christian Geisselmann: Von klein auf spielte ich ständig mit den Fotoapparaten sowie den Super-8-Kameras meines Vaters herum, sie zogen mich einfach an. Als ich dann mit 15 die Bilder von Peter Lindbergh entdeckte, war alles zu spät – mir wurde schnell klar, dass ich Fotograf werden wollte, und so brachte ich mir über die Jahre das Fotografieren selbst bei.
Die erste Band startete ich ebenfalls mit 15. Ich wuchs quasi parallel in die Musik und in die Fotografie hinein. Die Musik gibt im Shooting die Grundatmosphäre vor, und beim Songtexte-Schreiben sind es die Bilder im Kopf, die mir die Richtung weisen.
Du bist von Süddeutschland nach Paris gezogen? Wegen der Fotografie?
Ja, ich bin aus einem kleinen Dorf namens Dietenheim nach Paris gezogen, mit kurzen Zwischenstopps in München und in Australien. Zu dieser Zeit war ich sehr von Frankreich und im Speziellen von Paris angetan und inspiriert; hinzu kam, dass ich in Frankreich, anders als damals in Deutschland üblich, ein Praktikum beziehungsweise einen Assistenzplatz als Autodidakt auch ohne Fotoschul-Diplom allein aufgrund meiner Fotos bekommen konnte.
Für das S Magazin bist du nach New York geflogen, um dort deine Strecke „The Gang“ zu produzieren? Welche Idee steckt dahinter und warum New York?
New York ist nun schon seit ziemlich langer Zeit die Stadt, in der ich mich am wohlsten fühle: dynamisch, inspirierend, mit starkem Charakter, ständig in Bewegung und zwar in einem solchen Maße, dass immer etwas zu tun wäre. Man muss sich selbst Grenzen setzen, hat dabei aber immer die Wahl, weiterzugehen, was wahrscheinlich auch das Interessante daran ist. Alles ist möglich! Die Idee zu „The Gang“ liegt deshalb auf der Hand: drei charaktervolle dynamische Frauen, die ihre Grenzen und Limits selbst bestimmen, und das in einer New York/Brooklyn-Umgebung, wie man sie schon aus Reportagen von Bruce Davidson Mitte der 1960er-Jahre kennt.
Die Modelle, für die du dich entschieden hast, haben alle besondere Merkmale, Makel in gewisser Weise. Nach welchen Gesichtspunkten hast du sie ausgewählt? Ist das typisch für deine Arbeit?
Makel kann man das nicht nennen, sie haben alle Besonderheiten, was zum einen eine bestimmte äußerliche Eigenheit sein kann – different is beautiful –, zum anderen aber vor allem durch ihren Charakter definiert ist. Meine Shootings laufen immer wie eine Art „Stageplay“ ab. Die Person vor meiner Kamera und ich pushen uns gegenseitig und das eben im Zusammenspiel mit Musik. Man kann schon sagen, dass die gezielte Auswahl im Casting ein typisches Merkmal meiner Arbeit ist.
Wie würdest du den Look deiner Aufnahmen beschreiben?
Ehrlich, direkt, ausdrucksstark und kraftvoll. Der Look ist durch das Korn, das ich verwende, und das Zusammenspiel von Hintergrund und Models sowie auch durch deren Attitude, die auch zum Look gehört, wahrscheinlich ein Art moderner Vintage.
Farbigkeit und Licht setzt du in „The Gang“ sehr verhalten ein. Die Schärfe legst du oft nicht auf das Model, sondern auf den Hintergrund. Was steckt dahinter?
Hierbei geht es um die Gesamtatmosphäre. Ich sehe die ganze Strecke immer wie einen Film vor mir und versuche, dieses Gefühl in die Bilder zu übertragen. Man könnte sich ein Filmtracking vorstellen, das mit einem scharfen Hintergrund beginnt, der langsam ausfaded und letztendlich die Schärfe auf die Person verlegt. In einem solchen Fall finde ich es oft sehr reizvoll, im Foto den Moment dazwischen festzuhalten, um mehr Spannung zu erzeugen. Natürlich nicht in jedem Bild, aber ab und zu, um einen besseren Rhythmus in der gesamten Fotoserie zu schaffen. Ich liebe es, schwarz-weiß zu fotografieren; allerdings gibt ein Hauch von verblasster Farbe manchen Bildern der Strecke noch einen zusätzlichen Vintage-Touch und trägt so wiederum zum Rhythmus bei. Tageslicht ist für mich das beste Licht, man kann alles damit anstellen, und in New York ist es einfach fantastisch.
Du benutzt in der Strecke für das S Magazin ausschließlich Querformate? Welche Assoziation wolltest du damit erzielen?
Die Wahl des Querformats liegt auf der Hand, da hier eine Geschichte erzählt wurde, die man genauso gut hätte filmen können. Jedes Foto könnte ein Film-Outtake sein. Querformat fotografiere ich am liebsten, da sich die Umgebung so viel besser einbauen lässt, sei es die Architektur – was auch eine große Leidenschaft von mir ist –, seien es Landschaften oder einfach nur blanke, freie Flächen neben dem Hauptmotiv – der Person –, die das Foto einfach atmen lassen.
Du hast „The Gang“ on location auf der Straße geschossen. Wie bist du dabei mit dem Mittelformat und der Leica-S-Kamera zurechtgekommen?
Wunderbar! Da ich früher, als ich noch mit Film fotografierte, fast ausschließlich mit Mittelformatkameras gearbeitet habe, ist es für mich fast ein nostalgisches Gefühl, das zurückkommt – natürlich mit bester und neuester Technik. In dem Sinne, dass ich die Dinge wieder so sehe, wie sie wirklich sind, und das Augenmerk wieder auf das Wesentliche lege, die Fotografie. Dazu kommt: Ich liebe große Kameras! Deshalb muss der zusätzliche Batteriegriff immer mit dazu.
Du möchtest nach New York ziehen. Was sind denn deine Pläne für die Zukunft?
Ganz genau, es wird immer ein ständiges Pendeln sein, aber genauso gefällt es mir. Mein Sohn ist begeistert von der Idee, dass meine Basis in New York sein wird. Was die Zukunftspläne angeht: Da gibt es einiges, zum Beispiel habe ich gerade die Arbeit an einem Buch begonnen, das sehr interessant wird. Das hat man so noch nicht gesehen.