INTERVIEW
Elsa & Johanna
Leica S (Typ 007) mit Elmarit-S 1:2.8/45 ASPH. (CS), Summarit-S 1:2.5/70 ASPH. (CS)
Elsa & Johanna Damese Savidan Jasmin Nahar Héloïse Schwab Séléna & Carla an die Famile Bijlenga-Kelmachter
In einer Privatwohnung in einem Schloss in Fontainebleau inszenierte das Fotografinnenduo Elsa & Johanna mithilfe der beiden Models Séléna und Carla eine romantische Begegnung zweier Figuren. In ihren performativen Interpretationen von Geschlechterrollen spielen sie mit Klischees und Stereotypen, um diese dann auf ihre eigene Weise zu brechen. „Unsere Arbeit gehört zu einer Familie mit einer Mutter namens Cindy Sherman“, sagen sie. Ihre Bilder seien keinesfalls als Karikatur oder Satire zu verstehen.
Hier sprechen sie darüber, wie wichtig die Geschichten hinter den Bildern sind und wie sie ihre Fantasien zum Leben erwecken.
Was bedeutet Fotografie für euch?
Elsa: Fotografie ist für mich ganz natürlich, eine Vision, die ich mit meiner eigenen Wahrnehmung prägen und mitteilen kann. Fotografie bedeutet die Erweiterung meines Blicks und meiner künstlerischen Ausdrucksfähigkeit. Durch Fotografie kann ich ein Gefühl, eine Empfindung, reine Schönheit oder eine Geschichte vermitteln. Was ich an diesem Medium so sehr schätze, ist die Art und Weise, wie man ein imaginäres Universum für andere öffnen und ein Stück Fiktion von Grund auf kreieren kann.
Johanna: Fotografie ist für mich ein besonderes Ausdrucksmittel, das es mir erlaubt, aus meiner Realität herauszukommen, eine neue zu schaffen und andere Möglichkeiten zu erforschen. Es ist, als würde man jedes Mal einen anderen Film leben. Fotografie ist auch ein Medium, mit dem man viele Aspekte eines kreativen Prozesses zusammenbringen kann: Kleidung, Friseurhandwerk, Architektur, Regie, Schauspielerei, Psychologie. Extrem reichhaltig. Sie ist auch ein soziales Medium, das viele Menschen gleichzeitig im kreativen Prozess vereint; das ermöglicht mir schöne Begegnungen und Verbindungen zu anderen Berufen.
Eure Bilder scheinen jeweils eine Geschichte zu erzählen, Betrachter können sich fragen, was passiert sein könnte. Erzählt doch mal, wie ihr eine Handlung arrangiert.
Elsa: Wenn wir eine Regiearbeit planen, denken wir immer zuerst an die Figur der Geschichte. Das können wir selbst sein oder Models oder Freunde. Wir stellen uns eine Persönlichkeit vor, eine Beziehung, auch wenn sie völlig frei erfunden ist. Und dann erwecken wir die Figur in einem oder mehreren Sets zum Leben. Wir versuchen, sie auf einen reellen Ort zu projizieren. Die Kulisse soll schön mit dem Model verschmelzen. Manchmal vergeben wir Namen, das kann helfen, sich ein Stück Leben vorzustellen.
Johanna: Elsa und ich lieben es, Geschichten zu erzählen. Unser künstlerischer Prozess besteht aus einer Vielzahl von Erzählungen. Diese Geschichten werden normalerweise von uns dargestellt, um von Wünschen, Identität und Schicksal zu erzählen. Unser allererstes Projekt war für uns als künstlerisches Duo von grundlegender Bedeutung, weil wir dadurch eine wirklich eigene Sprache schufen: das Selbstporträt, die Regiearbeit, die Darstellung, das kollektive Gedächtnis, die Muster. Das Universum, das wir jedes Mal erforschen, wird normalerweise von dem physischen Ort inspiriert, an dem wir uns befinden. Wir sind wie Schwämme, die Landschaften aufsaugen und, sobald man sie zusammendrückt, farbige Flüssigkeit von sich geben.
Was bedeuten für euch Selbstporträts hinsichtlich eures künstlerischen Ausdrucks?
Elsa & Johanna: Auch wenn es sich um einen vergänglichen Zeitraum handelt, während dessen wir uns in die Haut anderer versetzen, posieren wir in dem Moment nicht, sondern werden zu diesen Figuren. Heute hat sich die Kultur des Selbstbildes und der Selbstporträts durch neue Technologien erweitert. Sich selbst zu fotografieren und sich anderen zu zeigen ist zur Normalität geworden. Soziale Netzwerke und der Gebrauch, den wir von ihnen machen, formen unsere Generation zu Bildern, die jeder einzelne erzeugen und verbreiten kann. Infolgedessen ist unsere Ästhetik sowohl Teil der fotografischen Kultur des Porträts als auch dieser neuen Kultur des Bildes an sich.
Inwieweit würdet ihr zugeben von Cindy Shermans Arbeiten inspiriert worden zu sein?
Elsa & Johanna: Unsere Arbeit gehört zu einer Familie mit einer Mutter namens Cindy Sherman. Unsere Bilder stellen jedoch weder eine Karikatur noch eine Satire oder Gesellschaftskritik dar. Unser Prinzip der Verkörperung beinhaltet die Ausarbeitung eines möglichen Lebens für diese Figuren. Um sie zu konstruieren, verwenden wir natürlich bestimmte Kunstgriffe, aber wir entfernen uns schließlich von ihnen, bis wir sie vergessen. Unsere Interpretationen sind performativ und spielen sich in immersiven Szenarien ab, in denen wir unsere Figuren mit der Wahrnehmung der Betrachter konfrontieren. Diese Interaktionen sind wesentlich, um sie zum Leben zu erwecken und ihnen den nötigen Raum zu geben, um sich zu entfalten.
In welcher Form setzt ihr euch mit Geschlechterrollen und Klischees auseinander? Einige eurer Bilder scheinen ironische Anklänge zu haben.
Elsa & Johanna: Da wir Charaktere aus unseren Vorstellungen schöpfen und durch Beobachtung und Projektionen von Menschen, denen wir zufällig auf der Straße begegnen, anreichern, gibt es für uns keine klar abgegrenzten Geschlechter. Deshalb können wir Mädchen und Jungen, Homosexuelle oder Heterosexuelle verkörpern, sogar Menschen, deren Geschlecht nicht eindeutig definiert ist. Die Androgynität ist für uns in unserer Praxis sehr interessant, weil die Grenze wirklich greifbar ist und diese Greifbarkeit zugleich voller Zerbrechlichkeit und Subtilität ist.
Wir interessieren uns für alle Arten von Stereotypen aus dem imaginären Kollektiv. Deshalb kann man manchmal das Gefühl haben, jemanden in unseren Bildern gesehen oder erkannt zu haben – aus der Wirklichkeit, aus einer Erinnerung oder aus einem Film … Auf magische Weise transportiert das Gesicht, das man auf dem Foto sieht, ein Déjà-vu-Gefühl. Genau das versuchen wir in unserer Arbeit zu vermitteln, um die Erinnerung des Betrachters zu reaktivieren und beim ihm auf diese Art Rückblenden zu erzeugen.
Bei diesem Projekt habt ihr mit der Leica S (Typ 007) gearbeitet, was hat euch an der Kamera und den Objektiven gefallen?
Elsa & Johanna: Die Präzision und die Bildkörnung ist wirklich schön und subtil. Auch die Unschärfe ist wunderbar.
Wie wichtig ist das Model für eure Arbeit und warum? Was sollte ein gutes Model mitbringen?
Elsa & Johanna: Für uns ist ein gutes Model jemand, der sich an jede Art von Situation anpassen und je nach Kleidung, Ambiente des Sets und Ort etwas anderes vorschlagen kann. Es ist sehr wichtig, dass das Model etwas von sich selbst gibt. Wenn man dem Fotografen nichts gibt, passiert nichts, und das Bild läuft Gefahr, zu glatt zu sein, ohne Zerbrechlichkeit, ohne Emotionen oder eine Geschichte. Wir lieben Menschen, die mit ihrem Gesicht, ihrer Geste, ihrem Ausdruck etwas erzählen können, die nicht schüchtern mit der Kamera umgehen und ein wenig Verrücktheit mitbringen. Mit all diesen Aspekten können wir unsere Narrative am Set entwickeln, und das ist unser Ding, wenn wir Modefotografie machen.