INTERVIEW
Bil Brown
Leica S (Typ 007) mit Elmarit-S 1:2.8/45 ASPH. (CS), Summarit-S 1:2.5/70 ASPH. (CS), Summicron-S 1:2/100 ASPH. und Leica SL mit SUMMICRON-M 1:2 35mm ASPH.
Bil Brown Mui-Hai Chu Britton Litow Drew Pluta Kris WU
Rapper und Multitalent Kris Wu stellt in „Hanging on the Telephone“ auch sein emotinal-facettenreiches, schauspielerisches Können unter Beweis. Von Bil Brown reportageartig in kraftvollem Schwarzweiß inszeniert, präsentiert Wu in dieser Modestrecke Prada-Looks in Stylings von Mai-Hai Chu.
Du bist seit 30 Jahren als Künstler tätig. Erst warst du Musiker, dann Schriftsteller und nun Fotograf. Inwiefern beeinflusst dieser Werdegang deinen visuellen Stil?
Musik ist eine Form der emotionalen Intelligenz, während ein guter Schriftsteller versuchen muss, die Dinge von einer anderen Perspektive zu betrachten und diese dann leicht nachvollziehbar zu vermitteln. Ich glaube, ein Fotograf benötigt beide dieser Fähigkeiten. Und ich lasse mich bei meinen fotografischen Erzählungen auch oft von Musik und Literatur inspirieren.
Du bist in den USA geboren und aufgewachsen, hast aber auch eine Zeit lang in Prag gelebt. Das sind zwei ziemlich unterschiedliche Welten. Wie hat dich diese Erfahrung geprägt?
Ich werde immer eine enge Beziehung zu Prag haben und zu Europa allgemein. Mich in einem Land zu befinden, das gerade zu dem Zeitpunkt die Ideologie des geschlossenen Marktes zugunsten eines globaleren Systems hinter sich ließ, hat mir eindringlich klargemacht, wie einflussreich visuelle Kommunikation wirklich sein kann. Sie kann tatsächlich einen kulturellen Umbruch bewirken. Ich versuche, in allen Situationen eine poetische Wahrheit zu finden, selbst wenn es sich einfach um ein Porträt-Shooting handelt.
Du hast eine Fotoserie mit dem chinesisch-kanadischen Sänger, Schauspieler und Model Kris Wu realisiert. Wie fandst du dieses Shooting?
Es war viel entspannter, als ich es mir vorgestellt hatte. Obwohl ich bereits aus Modekreisen viel Positives über ihn gehört hatte, hatte ich nicht erwartet, dass er so zugänglich sein würde. In China ist er ein richtiger Star, eine Art chinesischer Brad Pitt seiner Generation. In Los Angeles war das Ganze nicht so ausgeprägt, da er dort nicht denselben Bekanntheitsgrad hat. Ich könnte mich hier allerdings auch täuschen. Denn als ich neulich in Los Angeles durch Chinatown fuhr, sah ich sein Gesicht auf einer riesigen Werbetafel. Vielleicht hatte ich einfach keine Ahnung, wie berühmt er wirklich ist. Und das ist auch gut so. Perfekt sogar. Denn er hatte viele eigene Anregungen dazu, wie er wahrgenommen und dargestellt werden wollte.
Kris Wu hat eine beeindruckende Karriere aufgebaut und vereint Ost und West auf seine ganz eigene Weise. Was denkst du darüber?
Meiner Meinung nach haben es asiatisch-amerikanische Künstler wirklich nicht leicht. Sie erhalten nicht dieselbe Mainstream-Anerkennung wie Performer mit hispanischen Wurzeln oder schwarze Rapper und Hip-Hop-Künstler. Ich kenne zwar Kris’ Geschichte nicht im Detail, aber ich finde, dass seine Verbindung zu China und die daraus resultierenden Einflüsse eine großartige Möglichkeit bieten, unsere Popkultur in die Richtung zu lenken, in die sie gehen sollte. Wir müssen über unsere durch Euro- und US-Zentrismus definierten Grenzen hinauswachsen. Mehr als die Hälfte der Erdbevölkerung ist asiatisch, ein großer Teil davon chinesisch. Ich bin jedenfalls sehr daran interessiert, was die Welt an Kreativität zu bieten hat.
Deine Bilder von Kris Wu sind anders als typische Star-Porträts. Sie basieren auf einer relativ breiten Palette von visuellen Ausdrucksformen. Was war es, das du dem Betrachter vermitteln wolltest?
Ich glaube, ich habe eine spezifische Bildsprache, oder zumindest ist mir das gesagt worden. In diesem Fall spielte die Location eine wichtige Rolle in der Erzählung. Wir fotografierten in einer Art Speakeasy-Bar, in die man nur reinkommt, wenn man ihre exakte Lage kennt. Sie befindet sich in einem Hotel, aber der Zugang ist mehr oder weniger verborgen – er sieht aus wie die Tür zu einer Tiefkühlzelle. Dahinter eröffnet sich mit einem Schlag eine Welt voller Musik und alternativ-kultureller Einflüsse. Solche Orte sind seit jeher synonym mit Liberalität und Freiheit. Du brauchst dir keine Gedanken darüber zu machen, was andere Leute von dir denken. Eine private Welt, die sprichwörtlich hinter geschlossenen Türen stattfindet – ich finde, das ist eine gute Metapher für die Realität eines berühmten Künstlers. Er hat vielleicht ein Management- und PR-Team, das für die Darstellung seiner öffentlichen Persönlichkeit verantwortlich ist. Aber was mich interessiert ist immer, wie dieser Mensch mit seiner extremen Beliebtheit umgeht.
Kris Wu hat eine Vorliebe für Mode und trägt die verschiedensten Stilrichtungen, von Hip-Hop-Streetwear bis zur hochkarätigen Haute Couture. Wer hat die Outfits für euer Shooting gewählt? Hat Wu selbst entschieden, was er tragen wollte?
Die Moderedakteurin eines führenden Magazins in Los Angeles hat die Looks zusammengestellt – die Stücke sind hauptsächlich von Marken wie Prada, LVMH, Chanel und so weiter. Bei meinem letzten Paris-Aufenthalt war ich im Luxuskaufhaus Lafayette und traf dort auf unzählige chinesische Touristen, die sich genau diese Marken kauften. Ich glaube, es ist in China aufgrund des zunehmenden Wohlstandes zu einem Prestigezeichen geworden, sich mit den Luxuslabels europäischer Modehäuser zu identifizieren.
Du besitzt eine eindrucksvolle Sammlung von Leica-Kameras, die du regelmäßig einsetzt. Mit welchem Modell hast du bei diesem Shooting gearbeitet?
Hauptsächlich mit der Leica S Typ 007 in Kombination mit 40-, 70- und 100-mm-CL-Objektiven. Zusätzlich drehte ich ein Video im L-Log-Format mit einer am Gimbal montierten Leica SL und einem 24–90-mm-Objektiv; ein paar Pickup-Aufnahmen drehte ich auch mit einer RED mit Leitz-Cine- und Leica-M-Objektiven. Zum Fotografieren nahm ich außerdem noch die Leica Q und die M10. Also eine ganze Menge Kameras und Objektive. Ich arbeitete teilweise mit Blitz und Stroboskopen, aber für die meisten Aufnahmen verwendete ich Kino-Flo-Leuchten und setzte mein Vertrauen in die Objektive und den großen Dynamikumfang.
Wie viele Kamerasysteme bringst du gewöhnlich zu einem Shooting, und warum reicht die Bandbreite dabei von Mittelformat- bis zu Vollformatkameras?
Das ist eine sehr gute Frage. Meine Auswahl variiert von Mal zu Mal. Was ich immer bei mir habe ist allerdings ein M-Gehäuse, meistens mit einem 35- oder 28-mm-Objektiv. M-Objektive sind meine erste Wahl, weil sie einfach absolut perfekt sind und es mit ihnen tendenziell weniger technische Probleme gibt als mit AF-Objektiven. Ich kombiniere meine M-Objektive auch mit der Leica SL, besonders Teleobjektive wie das 90er oder das 135er. Dasselbe gilt für die nativen 24–90- und 90–280-mm-L-Mount Objektive, aber die M-Objektive machen die SL eben um vieles handlicher Das Focus Peaking der SL von 2015 gehört immer noch zu den besten, die mir je untergekommen sind. Die SL is auch meine Hauptkamera für kinematische Videos.
Generell ist das S-System mein Favorit für Modefotografie, denn es bietet nach wie vor die beste Farb- und Detailwiedergabe aller Leica-Kameras. Sie ist ein Muss für Mode-Shootings – und StylistInnen und RedakteurInnen lieben sie. Ich habe auch eine Leica Sofort, die sich bei dieser Art von Porträt-Shootings gut bewährt hat. Die porträtierten Künstler finden es interessant, diese Retro-Methode des Fotografierens auf neue Weise zu erfahren. Oft machen sie auch selbst ein Sofortbild und posten es auf Social Media. Es macht einfach Spaß.
Du bist der Herausgeber des Magazins „Black & Grey“. Welchen Stellenwert haben gedruckte Publikationen deiner Meinung nach in der heutigen Zeit? Und in welche Richtung werden wir uns bewegen?
Ich finde, ein gedrucktes Magazin sollte am besten in kleinen Auflagen produziert werden, es sei denn, es handelt sich um eine etablierte Publikation mit einem Budget, das regelmäßige, qualitativ hochwertige Druckauflagen möglich macht. Leute, die gedruckte Magazine sammeln, wollen etwas besitzen, das länger als nur eine Saison Bestand haben wird. Sie wollen eine Art historisch bedeutungsvolle Dokumentation einer bestimmten Zeit und etwas, das vertiefende Informationen beinhaltet. Ein gedrucktes Magazin ist heutzutage näher an einem Kunstobjekt als an der Marketingplattform, die es früher mal war. Denn die traditionellen Vertriebsmodelle scheitern oder sind bereits gescheitert. Ich kann ja meine Arbeit in Sekundenschnelle überall von Thailand bis Stockholm und Nashville digital zugänglich machen. Problematisch wird es nur, wenn das Internet eingeschränkt wird, wenn wir aufpassen müssen, was wir sagen oder zeigen. Hier hat ein gedrucktes Werk einen deutlichen Vorteil. Es kann nicht so leicht zensiert werden – ein Buch oder Magazin muss eigens verbrannt werden, um den Inhalt zu zerstören. Und das geschieht gewöhnlich erst, nachdem es schon im Umlauf war.
Wir befinden uns in einem neuen Zeitalter. Wir sollten es annehmen, während wir gleichzeitig die besten Aspekte der Vergangenheit beibehalten.