In „Gods & Monsters“ erzählt Joseph Chen eine postapokalyptische Geschichte – überlebende Menschen und überdimensionale, mutierte Kreaturen auf einer einsamen Insel verschmelzen zu einer Science-Fiction-Kreation mit ausgeprägter fotografischer Handschrift und visionärer Botschaft.
Wie bist du zur Modefotografie gekommen?
Ich bin schon seit meiner frühen Kindheit ein Geschichtenerzähler, und ich glaube, dass ich seit dem Moment, in dem ich Gesichter unterscheiden konnte, eine Faszination für die Schönheit von Frauen entwickelt habe. Vor ein paar Jahren sah ich eine kunstfotografische Ausstellung über Wale, Elefanten und Mönche. Das hat mich sehr bewegt und war der Wendepunkt für mich, an dem ich beschloss, mich ernsthaft der Fotografie zu widmen. Ich besuchte mehrere Kurse, um mich weiterzuentwickeln. Zu diesem Zeitpunkt interessierte mich vor allem die Kunstfotografie. Später wollte ich mich stattdessen der Glamour- und Aktfotografie zuwenden. Ich habe diese Richtung dann auch eine Weile verfolgt, fand es aber schwierig, mit lediglich mit Bikinis oder Lingerie bekleideten Models eine Geschichte zu erzählen. Letztendlich hat sich meine Arbeit dann zur Modefotografie entwickelt – und hier kann ich meine Leidenschaft für das Geschichtenerzählen und die weibliche Schönheit gleichzeitig ausleben.
Du kommst aus Asien, hast in Madrid deinen Master in Fotografie gemacht und lebst derzeit in New York. Inwieweit haben diese drei Kulturumfelder einen Einfluss auf deine Fotografie gehabt – oder wird sie von etwas anderem beeinflusst?
Im Vorfeld sei gesagt, dass ich das Studium in Spanien nicht abgeschlossen habe – ich war mit den Unterrichtsgebühren im Verzug, und da beschloss die Uni, mich rauszuschmeißen. Aber um die Frage zu beantworten: Ich glaube, meine Vorliebe für blondes Haar ist bestimmt auf meine asiatischen Wurzeln zurückzuführen, weil es für mich dadurch etwas Außergewöhnliches ist. Auch denke ich, dass die künstlerischen und unkonventionellen Elemente meiner Arbeit sowohl von Spanien als auch von New York kommen. Meine Arbeit wäre auf alle Fälle ganz anders, wenn ich in Asien geblieben wäre.
Du hast einen sehr ausgeprägten Stil, den man nicht unbedingt als kommerziell wahrnimmt. Ist das in der Branche eher ein Vor- oder eher ein Nachteil?
Interessant, dass du das ansprichst. Im Vorjahr hatte ich zum Beispiel ein Meeting mit einem jungen Agenten von einer der größten Agenturen in New York, der meinte, dass meine Beleuchtung sehr kommerziell sei – er wollte, dass ich mich mehr nach dem momentanen Trend richte, das gesamte Bild gleichmäßig zu beleuchten. Ich habe nie verstanden, wie er die Chiaroscuro-Ästhetik in irgendeiner Weise kommerziell finden konnte. Andererseits habe ich aber auch schon Aufträge verloren, weil Klienten meine Arbeit zu düster und ungewöhnlich fanden. Vor einiger Zeit bin ich daher zu dem Entschluss gekommen, das zu machen, was ich selbst als richtig empfinde. Klar muss man immer wieder ein paar Kompromisse eingehen, das gilt natürlich auch für meine Arbeit, aber mittlerweile mache ich das eben nur bis zu einem gewissen Grad. Ich bin der Meinung, dass Klienten einen Fotografen einzig und allein wegen seiner Bildsprache und Sichtweise beauftragen sollten – nicht aufgrund des niedrigen Honorars oder weil er bereits diese Berühmtheit oder jenes Model fotografiert hat oder weil sein Studio besser aussieht. Wenn man aus diesen Gründen einen Fotografen beauftragt, wird es im Chaos enden.
Worum geht es in „Gods & Monsters“?
Die Geschichte basiert auf dem klassischen Konzept einer postapokalyptischen Welt, die auf einen Atomkrieg folgt. Es gibt noch ein paar letzte überlebende Menschen, während die Tiere durch die radioaktive Strahlung zu riesigen Kreaturen mutiert sind. Unsere Inspiration waren japanische Science-Fiction-Filme aus den 1950er- und 60er-Jahren, also Filme die ein oder zwei Jahrzehnte nach Hiroshima und Nagasaki produziert wurden. Wir befinden uns ja gerade in einer Zeit der politischen Ungewissheit, in der rund um die Welt die Führungsrollen von Größenwahnsinnigen besetzt werden, sodass dieses Szenario im Moment denkbarer denn je erscheint.
Beim Compositing setzt du überdimensionierte Meerestiere ein. In welchem Maße ist die Postproduktion ein kreatives Element deiner Arbeit?
Die Postproduktion spielte in der Umsetzung dieses Projekts eine sehr wichtige Rolle. Es war Teamarbeit: Gemeinsam mit Andrew Basile, dem Creative Director, und mit meinem Retuscheur, Alex Wink, arbeitete ich nach dem Shooting noch drei bis vier Monate an der Postproduktion.
Wie wichtig war es für dich, mal ohne eng abgesteckte Vorgaben arbeiten zu können?
Für mich kommt es immer auf die Art der Vorgaben an – denn jedes Projekt hat seine gewissen Einschränkungen. Wie gesagt sind aber jene Klienten, die mich einzig und allein aufgrund meines Stils engagieren, letzthin immer am zufriedensten mit dem Resultat.
Fotografiert hast du mit der Leica S, gefilmt mit der SL und dann noch einen Klassiker aus den 60ern verwendet. Warum so ein Mix?
Ich nahm die Leica S zum Fotografieren, weil ich finde, dass sie die beste Kamera für gedruckte Abzüge ist. Für das Video arbeitete ich zusätzlich zur SL auch noch mit einer analogen Kamera, um das Gefühl zu vermitteln, dass es sich hier um Erinnerungen handelt – denn wir denken ja an die Vergangenheit nicht in hochauflösenden Bildern.