Es ist das berühmteste Ballett der Welt: das Bolschoi-Ballett in Moskau. Für ihre Serie hat Elen Pavlova einzelne Tänzer aus dem hochrangigen Ensemble fotografiert – in eindrucksvollen Porträtaufnahmen. Ein Gespräch über Schönheit, Inspiration und die symbolische Kraft der Schwarzweißfotografie.
Wie bist du auf die Idee gekommen, Tänzer zu porträtieren – und sie nicht stattdessen in der Bewegung zu fotografieren?
Über die Tänzer des Bolschoi-Balletts hatte ich schon viel gehört. Irgendwann wurde mir klar, dass ich aber gar nicht wirklich wusste, wer sie sind. Sie waren ein Mysterium. Ein Organismus, der sich aus 230 einzelnen Menschen zusammensetzt. Das russische Ballett ist das bekannteste der Welt, aber wir haben kaum eine Vorstellung davon, wer im Einzelnen dafür steht. Ich wollte die Kraft des russischen Balletts anhand seiner Gesichter zeigen. Ich wollte Persönlichkeiten zeigen, die die Geschichte dieses Balletts erzählen. Ich wollte die Tänzerinnen und Tänzer sehen, die den Organismus ausmachen und das Ballett individualisieren. Tänzer tanzen mit dem, wer und was sie sind – und sie lieben es!
Wie hast du die Tänzer kennengelernt, und wie fanden sie deine Idee?
Zunächst fragte ich mich: Wenn es im Ensemble des Bolschoi-Balletts mehr als 200 Tänzer gibt, welche soll ich für meine Geschichte auswählen? Und nach welchen Kriterien? Sollte ich nur diejenigen fotografieren, die die Hauptrollen und Soli tanzen? Würde das das wahre Gesicht des Bolschoi-Balletts abbilden? Ich beschloss, die Tänzer selbst zu entscheiden zu lassen: Über Facebook kontaktierte ich eine Tänzerin, und nach der Fotosession fragte ich sie, wen ich als Nächstes fotografieren solle. Wer in ihren Augen der beste Tänzer am Bolschoi sei. Und immer so weiter. So wurde meine Geschichte zu ihrer Geschichte.
Wie reagierten die Tänzer?
Die Reaktionen waren ganz unterschiedlich. Manche erzählten am Set sehr persönliche Dinge, andere posierten sehr beherrscht. Ich folgte ihnen jeweils dorthin, wohin sie mich einluden, und meine Fotografie wurde für sie zum Spiegel. Sie luden mich zu ruhigen Momenten ein oder zu Gesprächen, sie inspirierten mich mit Lebensweisheiten, mit Gedanken dazu, wie man an seinem Traum festhält und ihn niemals aufgibt. Manche machten Musik an und tanzten, andere tanzten in der Stille.
Mochten alle die Porträts, die du von ihnen gemacht hast?
Die Reaktionen auf meine Fotografien waren sehr unterschiedlich. Wir alle haben eine ganz bestimmte Vorstellung von uns selbst. Die meisten Überlegungen gingen darum, ob ein Porträt das jeweils persönliche Anliegen widerspiegeln kann.
Warum hast du die Serie in Schwarzweiß fotografiert?
Ich wollte vielschichtige und zugleich einfache Aufnahmen realisieren. Wenn man nur zwei Farben und die Schattierungen dazwischen zur Verfügung hat, kann man einen starken grafischen Ausdruck erarbeiten und direkt in die Bedeutung der Aufnahme eintauchen: das Porträt als Symbol.
Deine Porträtaufnahmen sind sehr stark und ausdrucksvoll …
Für mich entsteht Schönheit in dem Augenblick, in dem ich die Seele eines Menschen sehe. Alles, was ich dann fühle, gebe ich in den Moment des Fotografierens hinein, um genau diesen Augenblick festzuhalten. Ich suche immer nach einer inneren Verbindung zwischen mir und den Porträtierten, damit ein schönes Porträt entstehen kann. Für ein ausdrucksstarkes Porträt spielt außerdem die Grafik ein wichtige Rolle. Beim aufmerksamen Betrachten der Werke berühmter Maler und Fotografen habe ich einen bestimmten Geschmack entwickelt. Und natürlich prägte mich auch mein brillanter Lehrmeister Anthony Suau.
Wie bedeutet Schönheit für dich?
Beim Betrachten von Bildern denkt man nicht in denselben Kategorien von Schönheit, wie sie in der Gesellschaft verankert sind. Bilder hört und fühlt man, das ist für mich ein sehr wichtiger Aspekt. Ich möchte, dass der Betrachter eine Verbindung zu dem Porträtierten aufbaut. Dass er sich von der Schlichtheit der Aufnahmen inspirieren lässt und dass er das, was er sieht, ein Stück weit in sein eigenes Leben mitnimmt.
Mit welchem Kameraequipment hast du gearbeitet?
Um etwas Schönes zu schaffen, muss man Schönheit bereits in sich tragen. Eine Leica kann man sich kaufen. Für diese Serie habe ich eine Leica SL mit einem Vario-Elmarit SL 1:2,8–4/24–90 mm Asph benutzt. Das ist alles, was man braucht. Elegantes und schlichtes Design, höchste Qualität. Ich liebe die Brennweitenspreizung von 24 bis 90 Millimeter. Man kann im Bereich der Porträtfotografie mit ein und demselben Objektiv arbeiten und muss seine Arbeit nicht durch Objektivwechsel unterbrechen. Das ist für mich sehr wichtig. Denn wenn ich anfange zu fotografieren, möchte ich mir keine Gedanken zu Kamera und Equipment machen müssen. Eine Leica macht aus einem Fotografen einen Künstler.
Was wird dein nächstes Projekt sein?
Vermutlich werde ich mich der Farbporträtfotografie widmen. Ich habe das Gefühl, ich müsste mich mal der Farbe zuwenden. Ich suche gerade nach einem Thema und der entsprechenden künstlerischen Umsetzung.