INTERVIEW
Aglaja Brix & Florian Maas
Aglaja Brix & Florian Maas Fabiana Vardaro @ Basics Berlin Katharina Handel @ Basics Berlin Anna-Maria @ Core Management Leica S (007) mit Summarit-S 1:2,5/35mm Asph., Summarit-S 1:2,5/70mm Asph., Apo-Macro-Summarit-S 1:2,5/120mm Asph.
Das surreal-apokalyptische Ambiente eines verwahrlosten Hofes war die Inspiration für das deutsche Fotografen-Duo Aglaja Brix & Florian Maas für „Don’t Care“. Model und Sängerin Anna-Maria Nemetz schlüpfte für das Shooting in die Rolle einer verwilderten Vagabundin, die Fabiana Vardaro mit einem rebellischen Styling zuspitzt.
S Magazin: Ihr beiden kennt euch schon von der Uni und arbeitet seit Jahren zusammen. Wie hat man sich so eine Kooperation vorzustellen, inspiriert ihr euch gegenseitig, habt ihr auch mal Differenzen, gibt es einen „Ideengeber“ oder jemanden, der die Ideen eher umsetzt?
Aglaja Brix & Florian Maas: Unsere nun zweijährige Zusammenarbeit funktioniert ganz natürlich und ungezwungen, es gibt keine wirklich feste Rollenverteilung. Wir haben uns damals, beide als Fotografen, zusammengefunden.
Allerdings haben wir uns am Anfang gut ergänzen können, denn Florian hat die technische Professionalität mitgebracht, und Aglaja war für den kreativen Part verantwortlich – das waren die Anfänge, und mittlerweile sind wir, jeweils von dem anderen beeinflusst, zu einem gleichwertigen Team verschmolzen: beide als Ideengeber, Produzenten und Techniker. Allerdings gibt es schon die Tendenz dazu, dass sich Aglaja mit dem Styling und Haaren und Make-up auseinandersetzt, während Florian sich um das Equipment kümmert und schon mal die Location erkundet.
Natürlich schlüpfen wir je nach Projekt mal mehr und mal weniger in die jeweiligen Rollen. Das passiert aber immer ganz automatisch und ohne dass wir viel darüber nachdenken. Wir inspirieren uns gegenseitig, sowohl „In Action“ beim Shooting, bei der Vorbereitung, als auch im Alltag, wenn die Ideen entstehen. Das klingt alles so selbstverständlich – wir sind uns aber darüber bewusst, dass es ein Geschenk ist, jemanden gefunden zu haben, mit dem man ein eingespieltes Team bilden kann.
Wie lange dauert ein typisches Brainstorming, und wie groß ist der Zeitraum, in dem ihr ein typisches Projekt umsetzt? Gibt es typische Projekte?
Das kann sehr unterschiedlich sein. Oft beziehen wir unsere Inspiration aus interessanten Orten, die wir mehr oder weniger zufällig entdecken, oder aus Themen ästhetischer oder auch politischer Herkunft, die uns beschäftigen, selbst Musik oder Clubs können inspirieren.
Dann passiert das Brainstorming zum Beispiel auch vor Ort von ganz allein. Auch bei Jobs mit Vorgaben können wir direkt anfangen zu brainstormen und ein Konzept dazu kreieren.
Es gibt Projekte, die wir über lange Zeit im Kopf haben und umsetzen, sobald sich dafür die richtige Gelegenheit bietet. Immerhin muss man für so etwas ja auch erst mal das perfekte Team zusammenkriegen … Dank unserer großen Location- und Mood-Datenbank können wir Projekte aber auch sehr schnell umsetzen.
Das typische Projekt an sich gibt es nicht. Wenn sich etwas für unseren Stil als typisch bezeichnen lässt, dann wäre das vielleicht die Lichtsetzung, die Kameraperspektive, Posing und/oder die Vorliebe für coole, vielfältige Location-Settings. Vielfalt wird in unseren Strecken groß geschrieben.
Worum geht es bei „Don’t Care“? Was war die Idee dahinter?
Unsere neue Strecke ist als Paradebeispiel auch aus der Inspiration eines besonderen Ortes entstanden, an dem das Shooting ja stattfand. Dieser „Hof“ wirkte schon bei der ersten Sichtung aus dem Auto heraus wie eine drapierte Filmkulisse. Es stellte sich aber heraus, dass dort wirklich Menschen mit ihren tierischen Mitbewohnern leben; Nachbarn von Familienangehörigen von Florian. Diese apokalyptischen Szenarien, die sich dort boten, gemischt mit dem verschlafenen, ländlichen Charme, reizten uns, dieses Projekt dort zu verwirklichen. Wir wollten, dass sich die Story vervollständigt mit der Wahl des Models beziehungsweise mit ihrem Stil. Die Attribute der Location ließen uns sofort dieses Mädchen erscheinen, das etwas verwildert wirkt und Herrin ihrer selbst ist, in einer verwahrlosten aber surreal-romantischen Welt; die Tiere als ihre Wegbegleiter. Von der Punk- und Vagabunden-Attitüde beeinflusst, fasst „Don’t Care“ die Gegebenheit der Location, die Einstellung der Charaktere zusammen.
Die Wahl unserer Muse Anna-Maria hätte besser nicht passen können. Neben ihrer langen Modelkarriere ist sie auch noch Sängerin ihrer Band B.O.X.E.R. und bringt diesen leicht verruchten, selbstbewussten Charme mit. Man hat richtig gemerkt, wie sie am Set in diese Rolle geschlüpft ist.
Auch was die Musik für den Fashion Film angeht, wussten wir schon vorher, was für einen Sound wir wollen und von wem er kommen soll. Noschka, Freund und Profigitarrist, hat uns den Stoner-Soundtrack zum Film geliefert.
Eure Bilder haben etwas ganz eigenes, auch, was Styling und Inszenierung angeht; sie zeichnen sich durch einen durchgängigen Stil aus. Wie würdet ihr eure künstlerische Handschrift bezeichnen?
Da wir einen hohen künstlerischen Anspruch haben, freuen wir uns um so mehr über dieses Kompliment.
Eine bündige Stilbeschreibung haben wir leider nicht parat, können aber auf jeden Fall unterstreichen, dass unser Stil den Anspruch hat, filmisch, hochwertig, stark und dabei gleichzeitig auch lässig zu wirken.
Was sich besonders durch unsere freien Arbeiten hindurchzieht, ist ein geheimnisvoller und mystischer Unterton. Gern spielen wir auch mit surrealen Motiven.
„We Come in Peace“, „La Maison Abstrait“, „Black Pool“, „Lethal Gas“, „Diamond District“ sind typische, ziemlich poetische, gemmenhafte Titel eurer einzelnen Strecken. Inwiefern sind sie programmatisch? Oder wählt ihr die Bezeichnungen erst nach Abschluss der Produktion aus?
Meistens kommt uns der Name für die Strecken erst mit der Zeit und beim Sortieren der Bilder, manchmal aber auch schon während des Shootings. Die Namen müssen sowohl inhaltlich passen als auch vom Klang her interessant und schön sein, manchmal vielleicht auch mehrdeutig erscheinen. Natürlich kann ein Name den Blick auf die Bilder in eine bestimmte Richtung lenken und somit helfen, eine Geschichte zu erzählen.
Wir versuchen immer, einen schönen Mittelweg zwischen Sinn, Ästhetik und Interpretationsspielraum zu finden. „Diamond District“ zum Beispiel ist im Diamantenhandelszentrum zwischen verspiegelten Hochhäusern von Tel Aviv entstanden. Manchmal findet sich der Name also auch ganz wie von selbst.
Neben eurer Arbeit als Duo verfolgt ihr auch als Einzelpersonen eigene Karrieren. Drückt ihr darin eure Unterschiedlichkeit aus? Wie unterscheidet sich der singuläre, individuelle Prozess, für dich, Aglaja, und für dich, Florian, von der Arbeit als Team?
Florian fotografiert viel Architektur und eher menschenlose, grafische Stadtszenen und ist dabei ganz automatisch immer auf der Suche nach neuen Orten, an denen wir dann gemeinsam ein Editorial shooten können. Große Inspiration ist dabei besonders der Bauhausstil. Aglaja lässt sich gern neben der Hauptarbeit von interessanten Charakteren wie Musikern, bestimmten Persönlichkeiten oder auch von Tieren, Orten und politischen Themen inspirieren. So fließen beispielsweise auch Ideen, um Geschichten in Modestrecken zu erzählen.
Die Produktionen wie „Night after Night“ oder „A Dream within a Dream“ zeichnen sich durch eine gewisse, hintergründige Erotik und Theatralik aus – wie erzielt ihr diesen Effekt, oder ist das eher ein unterbewusstes Nebenprodukt?
Durch das Posing und die Blicke der Charaktere, durch die Kamerablickwinkel und Ausschnitte und durch die Lichtsetzung spielen wir mit dieser Erotik oder Zwielichtigkeit. Der Anspruch, Geschichten zu erzählen, bringt die Theatralik oft ganz automatisch mit.
Gibt es Interdependenzen – gegenseitige Abhängigkeiten – zwischen eurer kommerziellen, editorialen und der rein künstlerischen Herangehensweise?
Natürlich hat man bei kommerziellen Aufträgen oftmals andere Grundvoraussetzungen oder Vorgaben, die bereits feststehen, wie zum Beispiel die Location.
Daran können wir uns natürlich problemlos anpassen, versuchen jedoch immer, den Bildern etwas Künstlerisches zu geben – natürlich auch im Sinne des Auftraggebers.
Wie wichtig ist der Standort Berlin für euch, etwa als Inspirationsquelle?
Wir können wirklich sagen, dass wir Berlin lieben – hier gibt es abseits der üblichen Orte noch immer sehr viele Geheimtipps, die noch nicht jeder gesehen, oder in künstlerischer Weise verarbeitet hat. Die Stadt mit ihren Ecken und Kanten kann inspirieren. Berlin ist geschichtsträchtig, fluktuiert, hat viele „szenige Gesichter“, ist künstlerisch und modisch aktiv, braucht aber noch seine Zeit, um im High-Fashion-Bereich komplett anzukommen. Man merkt den Wandel schon: Wir hoffen und glauben fest daran, dass Berlin es schaffen wird, den teilweise trashigen Stil in den Hintergrund rücken zu lassen und als ebenbürtige Modemetropole anerkannt zu werden – das Potenzial ist auf jeden Fall gegeben!
Für das S Magazin habt ihr die Leica S 007 zum ersten Mal benutzt. Welchen Einfluss hat diese Kamera auf eure Arbeit gehabt?
Die Kamera eignet sich perfekt für On-Location-Shootings – selbst der Randbereich der Bilder kommt knackscharf. Die Bilder haben dank des Mittelformatsensors einen besonders hochwertigen Look mit edlen Farben und Kontrasten. Die Kamera ist dabei trotzdem leicht und handlich. Toll!
Habt ihr, einzeln oder als Team, bestimmte fotografische Vorbilder?
Wir haben beide gemeinsame Vorbilder. Vor allem Tim Walker und Txema Yeste sind es, die uns inspirieren, zu denen wir aufschauen. Sie sind es, die es immer wieder schaffen, mit ihren – sogar einzelnen – Bildern Geschichten zu erzählen und deren Bildsprachen vom Surrealismus angetrieben werden. So schön!