INTERVIEW
Christian Geisselmann
Christian Geisselmann @ lilamanagement Christian Geisselmann / Edite (all clothes exclusively from Edite showroom New York) Norah Salazar Laurent Gloor Iva Grdich @ Silent Models NY aus “édité” showroom New York Leica S (Typ 006) mit Apo-Macro-Summarit-S 1:2.5/120mm
In „Cross Walk“, der neuen Bildstrecke von Christian Geisselmann, durchstreift ein geheimnisvolles Mädchen die Straßen von Greenpoint, Brooklyn, die der Fotograf in gedämpften, vom New Yorker Dunst überzogenen Farbtönen eingefangen hat. Seine Protagonistin – ihr Gesicht zeitweise unter Brillen oder einem Schlapphut verborgen – ist ein Wildfang mit Gothic-Einschlag. Jemand, der sich selbst treu bleibt und sonst keinem.
Was kannst du uns über diese Strecke erzählen?
Der Titel der Serie ist „Cross Walk“. Es geht um eine starke junge Frau, die die Welt durchstreift, tief in ihre eigenen Gedanken und Ideen versunken. Sie strahlt eine Unantastbarkeit aus, einfach dadurch, dass sie vollkommen sie selbst ist. „Cross Walk“ bezeichnet den schmalen Grat zwischen unserer authentischen Persönlichkeit und den gesellschaftlichen Erwartungen und Vorgaben, wer wir zu sein haben.
Die Protagonistin hat etwas sehr Mysteriöses an sich. Wie würdest du sie beschreiben?
Sie ist stark und dennoch zerbrechlich. Sie ist selbstsicher, charakterstark und lebt in ihrer eigenen Welt. Ihre Andersartigkeit, die sie auch gar nicht zu verbergen sucht, ist gleichzeitig ihr Schutzschild in einer Welt, in der Stereotype die Norm sind und sich die meisten Leute nicht trauen, sie selbst zu sein und ihre eigene Individualität zu leben.
Was war das Grundkonzept hinter diesem Shooting?
Keine Angst davor zu haben, anders zu sein; die Idee zu zelebrieren, sein eigenes Leben so zu gestalten, wie es einem gefällt. Wir sind nicht hier, um jeden Tag Selfies zu machen, die denen Millionen anderer Leute genau gleichen. Jeder von uns hat einen ganz besonderen, einzigartigen Charakter, individuelle Vorlieben, Ansichten und Gefühle. Aber das alles scheint in einem Smog von sozialen Netzwerken unterzugehen, auf denen uns gezeigt wird, wie wir leben, essen und unsere Freizeit gestalten sollten. Das fördert den vollkommenen Verlust von Individualität und Kreativität.
Wo in New York ist die Serie entstanden?
Wir fotografierten in Greenpoint, Brooklyn, wegen der großflächigen industriellen und nicht allzu überlaufenen Umgebung. Die Szenerie spielt auf eine rohe Emotionalität an, die in uns allen steckt, die wir aber leider die meiste Zeit verbergen, weil wir Angst davor haben, anders und nicht angepasst zu sein.
Was zieht dich an New York besonders an?
Ich bringe viele meiner Klienten nach New York, um sie dort zu fotografieren. Ich liebe einfach die Atmosphäre und das Licht – es hat immer etwas Magisches an sich, egal unter welchen Bedingungen.
Wie siehst du New York im Vergleich zu deiner Wahlheimat Paris?
New York ist sehr dynamisch, lebendig, voller Energie, mit einem starken Willen, sich weiterzubewegen und ein Schmelztiegel individueller, kreativer Leute aus aller Welt zu sein. Alles scheint möglich. Paris hingegen ist zurzeit eher wie eine schlafende Prinzessin, ist aber gerade dabei, sich zu ändern. Langsam, aber sicher ist die Stadt wieder am Erwachen, und das macht mich sehr glücklich.
Welchen Fotografen würdest du in Verbindung mit New York besonders hervorheben?
Spezifisch auf New York bezogen würde ich sagen, Bruce Davidson. Und etwas Weitläufiger: Peter Lindbergh, der es immer noch vermag, mit seinen Porträts pure Magie zu schaffen.
Wie fandest du es, diese Serie mit der Leica S zu verwirklichen?
Wenn ich mit dem Leica S-System arbeite, empfinde ich immer eine Art Nostalgie, denn es erweckt Erinnerungen an die Zeiten, als ich noch analog im Mittelformat arbeitete. Jedenfalls ist das System eine großartige Kombination aus zeitlos-markantem Design, erstklassiger moderner Technik, müheloser Handhabung und fantastischen Objektiven.
Hast du eine besondere Empfehlung für das Fotografieren mit der Leica S?
Bei der Handhabung der Kamera immer den Multifunktionshandgriff einsetzen und manuell fokussieren – denn mit diesen Objektiven ist das eine wahre Freude.
Ich habe gehört, dass du oft von Musik inspiriert wirst. Gibt es einen bestimmten Song, der dich zu dieser Geschichte angeregt hat?
Ich denke, „Fade Into You“ von Mazzy Star würde ziemlich gut zu dieser Story passen.
Für mich hat die Strecke eine Art Wildweststimmung. War es deine Absicht, ein bestimmtes Bild von Amerika darzustellen?
Nein, das Augenmerk liegt ausschließlich auf der Person. Aber wenn die Geschichte im Betrachter ein Wildwestgefühl hervorruft, ist die Mission gelungen – denn es geht vor allem darum, das Recht auf Individualität und die damit verbundene innere Stärke zu zelebrieren.
Du hast einmal über „Echtheit“ in der Fotografie gesprochen. Wie stellst du sicher, dass diese Authentizität in deiner Arbeit gewahrt bleibt?
Hinsichtlich der eigentlichen Bildbearbeitung: indem ich Bilder nicht retuschiere. Und in Bezug auf die Person, die ich fotografiere: indem ich eine starke symbiotische Verbindung zwischen uns aufbaue, die sich zu einer Art Bühnenwerk entwickelt, in dem einer den anderen weiter und weiter vorantreibt, bis wir auf die ganz echten, rohen Gefühle stoßen, die wir im Bild hervorheben möchten.
Zum Zeitpunkt unseres letzten Gesprächs hattest du angefangen, an einem Buch zu arbeiten. Kannst du uns schon etwas darüber verraten?
Im Moment kann ich nur sagen, dass die Organisation am Laufen ist, das Team bereitsteht und wir das gesamte Projekt mit dem Leica S-System verwirklichen werden. Die Shootings beginnen im September, voraussichtlich in New York und Berlin. Und wir werden sehr eng mit Leica zusammenarbeiten.