INTERVIEW
Marie Hochhaus
Marie Hochhaus Nina Petters @ Ballsaal Tim Heyduck Jamal Musa mit Produkten von NEWSHA HAIR und MAC Ines Könitz und Neele Tschaitschian Patricia Paryz Svenja Blobel Charlotte @ Mega Models Vadim und Manuel Florenz Schepers Leica S (007) mit Summarit-S 1:2,5/35mm Asph., Summarit-S 1:2,5/70mm Asph.
Mädchen-Geschichten sind das Sujet, das die Hamburger Fotografin Marie Hochhaus bevorzugt bearbeitet. Für „Catch a Tiger by the Toe“ ließ sie von einer speziellen Location inspirieren. Model Charlotte fügte sich perfekt in die Rolle einer jungen Frau, die isoliert von der Gesellschaft in einer selbst kreierten Welt nach ganz eigenen Regeln lebt.
S Magazin:Marie, deine Fotografie ist märchenhaft verspielt, nostalgisch, sensibel und dreht sich um das Leitmotiv Mädchen. Warum ist das dein bevorzugtes Sujet, und wird es sich irgendwann auch in andere Richtungen entwickeln?
Marie Hochhaus: Ich nutze Fotografie gern, um Geschichten zu erzählen. Im Prinzip geht es viel um mich und meine Welt. Wobei dies gar nicht biografisch oder dokumentarisch gemeint ist, vielmehr geht es um meinen Blick auf die Dinge und in meinen freien Arbeiten auch viel um meine Tagträume. Dass die Protagonisten in meinen Bildern fast immer weiblich sind, liegt wohl daran, dass ich eine Frau bin und mich daher besser mit Frauen oder Mädchen identifizieren kann. Sie erschienen mir bisher immer geeigneter, meine Geschichten zu erzählen, als Männer. Da ich mich als junge Frau bisher eher mit gleichaltrigen oder jüngeren Personen identifizieren konnte und da New Faces oft so um die 14/16 Jahre alt sind, herrscht in meinem Portfolio momentan ein Mädchenüberschuss. Am Anfang war ich wirklich geschockt, als das erste Mädchen bei mir vorbeikam und erst 14 war. Ich hatte mir vorher ihre Setcard angesehen, und ich hätte niemals damit gerechnet, dass sie so jung ist. Aus Reflex habe ich ihr erst einmal ein Nutella-Toast gemacht und nachgefragt, ob ihre Mutter Bescheid wisse, wo sie steckt. Irgendwann hatte sich mein ganzer kreativer Ideenfindungsprozess auf Mädchen dieses Alters eingeschossen, da ich mich oft durch den Arbeitsprozess an sich, beziehungsweise die Menschen, mit denen ich arbeite, inspirieren lasse. Inzwischen habe ich mich übrigens an diese Seite der Branche gewöhnt und arbeite immer noch gern mit jungen Mädchen zusammen, weil sie oft noch so herrlich unbedacht an die Sache herangehen und noch kein konkretes Bild von sich und ihrer Weiblichkeit und Person entwickelt haben. Allerdings ändert sich meine Sujet-Vorliebe momentan, und meine Bildsprache öffnet und formt sich. Da meine Fotografie eine sehr persönliche Angelegenheit für mich ist, spiegelt sich die Entwicklung, die ich als Mensch erlebe, auch in meiner Bildsprache wieder. Je älter ich werde, desto mehr finden Frauen den Weg in meine Bilder und auch die Themen, mit denen ich mich beschäftige, wandeln sich. Es ist auch nicht auszuschließen, dass ich in 40 Jahren nur noch Aktfotos von Männern mache. Wer weiß schon, was mich als alte Lady dann interessiert? Die Rolle, die Fotografie in meinem Leben spielt, wandelt sich auch. Am Anfang war es nur aus Spaß, um zu experimentieren und ein Medium zu finden, in dem ich mich ausdrücken kann, dann habe ich studiert und das Fotografieren zu meinem Beruf gemacht. Nach dem Studium geht es dann plötzlich um die Wurst, weil man mit der Arbeit Geld verdienen muss. Das sind auf jeden Fall Aspekte, die auch großen Einfluss darauf haben, wie ein Portfolio aussieht.
In „Catch a Tiger by the Toe“ für das S Magazin zeigst du eine Geschichte über ein Mädchen, das isoliert in seiner eigenen skurrilen und chaotischen Welt zu leben scheint. Worum geht es da?
Für mich ist ein Wesenszug der Strecke, dass sie mit dem Gefühl der Verwirrung spielt und man als Betrachter nicht so recht weiß, was los ist und wie man die Situationen einschätzen soll. Meine Absicht war, die Geschichte einer jungen Frau zu erzählen, die sich nicht in die Gesellschaft integriert, sondern sich ihre eigene Welt baut und darin lebt. Die Idee zu der Strecke entstand, als ich zum ersten Mal die Location sah. Ich fand den Ort so faszinierend und habe sofort den Entschluss gefasst, dass ich so eine Geschichte fotografieren will. Als ich kurz darauf Charlotte bei einem Testshooting kennengelernt habe, war es sofort um mich geschehen. Ich wollte unbedingt mit ihr für diese Sache arbeiten, denn wenn man erzählerisch arbeitet, ist es superwichtig, ein Model zu haben, das sich in die Geschichte einfühlen kann und ein Gespür dafür hat, worum es mir geht. Generell ist es bei so großen Projekten extrem wichtig, ein Team zu haben, das die gleiche Vision teilt und in dem man einander pusht und zuarbeitet. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese ganzen wunderbaren inspirierten Köpfe mit ins Boot holen konnte. Besonders Nina war eine grandiose kreative Partnerin. Wir saßen vorher einige Abende zusammen, haben Moods gesucht, zusammen Ideen ausgeheckt und geplant. Es war eine großartige Teamwork-Erfahrung.
Diese Geschichte transportiert eine Stimmung, die völlig anders ist, als das, was man üblicherweise von dir kennt. Was ist passiert, und ist das Mädchen denn glücklich in seiner Welt?
Mein Bestreben war es, mich in dieser Geschichte ein bisschen weg von der Modefotografie zu bewegen und den szenisch-erzählerischen Ansatz meiner Bildwelt hervorzuheben. Es macht mir unglaublich viel Spaß, filmisch zu denken, das ist auf jeden Fall ein Aspekt, den ich in Zukunft noch weiter verfolgen möchte. Ob sie glücklich ist, ist eine etwas schwierige Frage. Was bedeutet Glück? Ich glaube, sie ist nicht glücklicher oder unglücklicher als ein in die Gesellschaft integrierter Mensch, der in scheinbar unchaotischeren Zuständen lebt. Zumindest hatte ich nicht den Anspruch, eine tragische oder traurige Geschichte zu erzählen. Welche Emotionen wiederum beim Betrachter ausgelöst werden, steht auf einem anderen Blatt.
Deine Protagonistinnen, Mädchen, sind meist Models, die weder einen kommerziellen noch einen modernen Touch haben. Nach welchen Kriterien wählst du sie aus?
Das ist wie vieles in meiner Arbeitsweise immer eine sehr intuitive Entscheidung. Konkrete Kriterien kann ich da nicht nennen. Erst einmal muss mein Interesse durch die optische Erscheinung geweckt sein, und dann muss die Energie stimmen. Letzteres ist ganz wichtig.
Du bevorzugst, mit Available Light, Sonnenlicht, beziehungsweise natürlichem Licht zu arbeiten. Warum? Erzeugst du dadurch etwas Besonderes?
Bisher erschien mir Tageslicht oft als das am besten geeignete Mittel, um Authentizität zu erzeugen. Mit der Zeit reizt mich aber künstliches Licht und die Möglichkeiten der Inszenierung, die damit einhergehen, immer mehr. Momentan habe ich eine Vorliebe für Dauerlicht.
Wie arbeitest du am liebsten? On Location oder im Studio? Wo fühlst du dich besser?
Da würde ich mich gar nicht festlegen wollen. Es hat beides seinen Reiz, und ich fühle mich in beiden Situationen gleichermaßen wohl. Im Studio ist es toll, da man sich nicht über Regen ärgern muss, wie beispielweise im Freien in Hamburg. Man hat die Situation etwas besser unter Kontrolle, kann konkreter planen und ist nicht durch das Licht oder die Jahreszeit unter Druck gesetzt. Aber in Licht getauchte Wälder, ein stürmisches Meer oder eine rätselhafte Wohnung sind Inspirationsquellen, die ich nicht mit ins Studio nehmen kann. On Location bieten sich einfach ganz andere Gestaltungsmittel und Zufälligkeiten.
Wie ist es für dich als Fotografin, in Hamburg zu arbeiten? Die Stadt ist weder besonders groß noch besonders klein. Kannst du dich hier entfalten, oder zieht es dich woanders hin?
Aaaah, ich liebe Hamburg einfach. Ich lebe nun seit fast zehn Jahren hier und ich finde es nach wie vor toll. Ich mag den Hafen, den Elbstrand, es gibt etliche grüne Ecken, es ist sehr gemütlich, und doch hat man die Annehmlichkeiten einer Großstadt und eine große Auswahl an Galerien, Veranstaltungen, Bars et cetera. Ich finde es hier ziemlich klasse. Ich hege allerdings auch den Plan, bald für zwei, drei Monate nach Paris zu gehen und dort zu arbeiten. Wer weiß, was passiert? Generell bin ich ein sehr offener und gegenwartsorientierter Mensch und lasse mich ungern durch allzu konkrete Vorstellungen von meiner Zukunft einschränken.
Ist eine Mittelformatkamera wie die Leica S das perfekte Equipment für deine Vorgehensweise? Welche Brennweite ist für dich die optimale?
Ich arbeite sehr gern mit der Leica S, die Auflösung ist einfach super. Am liebsten nutze ich das 70-mm-Objektiv.
Was möchtest du fotografisch zukünftig noch alles erreichen?
Da steht noch recht viel auf meiner Liste, da könnte ich jetzt ewig schreiben. Um einen Punkt zu nennen: Ich würde gern an einem Buch arbeiten und es dann veröffentlichen. Eine kleine, schöne Sammleredition, das fände ich toll.