INTERVIEW
Julie Nagel
Julie Nagel Markus Galic Karina Asmus David Balheim @ Kult Leica S (007) mit Summarit-S 1:2,5/70mm Asph. (CS) und Vario-Elmar-S 1:3,5-5,6/30-90mm
Für ihre apokalyptische Story „Born 10.0“ wählte die deutsche Fotografin Julie Nagel ein heruntergekommenes Industriegelände als Location. Mit seinem außergewöhnlichen Look, einer Melange aus Kampfbereitschaft und gleichzeitiger Verletzlichkeit, personalisiert das Model David Balheim in diesem Setting auf ideale Weise den Überlebenden.
Du bist relativ spät zur Fotografie gekommen; ursprünglich bist du Grafikdesignerin. Was hat dich dazu bewogen, dich umzuorientieren? Und inwieweit hilft dir deine grafische Ausbildung bei der Fotografie?
Tatsächlich habe ich lange als Art-Direktor gearbeitet, aber auch da war ich ein Quereinsteiger. Ich habe viele Shootings betreut und mochte die Arbeit dort immer: Jeder im Team ist für seinen Part zuständig, das ist anders als in der Agentur, und irgendwann wollte ich eben noch näher an das Gestalten der Fotos. Auch die Möglichkeit, selbst Ideen umzusetzen, fand ich faszinierend. Und, ja, sicherlich hilft dieser Background beim Erarbeiten von Konzepten, beim Zusammenstellen der Storys, aber auch beim Fotografieren selbst.
Du bewegst dich in einem Markt voller junger Talente. Wo und wie siehst du dich hier?
Am Anfang ist mir dieses Thema nicht einmal in den Sinn gekommen. Für mich war das einfach der nächste natürliche Schritt, Alter hatte bis dahin nie eine Rolle gespielt. Und ich bin mir auch gar nicht sicher, ob es das wirklich tut. Viele Fotografen, deren Arbeit ich mag, sind eher älter, haben ihren Stil über Jahre entwickelt. Ich bewundere junge Talente für ihre unerschrockene Herangehensweise, das ist in meiner Generation nicht so selbstverständlich gewesen, da kann man sich sicherlich etwas abgucken. Aber ich würde das Thema nicht überbewerten, es gibt Talente in allen Altersklassen. Wichtiger finde ich, einfach am Ball zu bleiben und die Freude und den Enthusiasmus beizubehalten. Es gibt ja auch Vorteile durch die Erfahrungen, die man gemacht hat. Auch beim Umgang mit den meist jungen Modellen empfinde ich das so. So können wir mit zwei unterschiedlichen Blickwinkeln zusammenarbeiten, das ist doch spannend.
Für „Born 10.0“ hast du eine besondere Location gewählt, nämlich ein altes Industriegelände. Bestimmt die Story bei dir die Location, oder ist es eher umgekehrt?
Dafür gibt es keine Regel. Ich liebe Locations, bin aber generell leicht zu inspirieren.
„Born 10.0“ tendiert stark in Richtung Apokalypse. Worum geht es genau in deiner Story?
In meiner Vorstellung harrt David an diesem Ort aus und bewacht mit seinem Gefährten, einer Ratte, diese Fabrik. Ein eigentlich sensibler Typ, der durch die Umstände zur Härte gezwungen wird. Dabei hofft er natürlich, auf weitere Leidensgenossen zu treffen und dass bald wieder Frieden herrscht. Ja, ich weiß, es ist geradezu altmodisch postapokalyptisch, das hat sich eben durch den Ort, durch David, aber auch durch die hervorragende Arbeit von Karina Asmus, die für die Haare und das Make-up zuständig war, und des Stylisten Markus Galic ergeben. Und ich finde ja gerade toll, dass man in unserem Beruf in solche Geschichten springen kann, natürlich immer mit einem eigenen Twist.
Du hast dir David Balheim als Protagonisten ausgesucht. Warum ihn, und was für einen Typ wolltest du?
Er hat mich ja zu dieser Geschichte inspiriert, er war zu einem Go-See da, mit seinen grauen Haaren, einer kaputten Jeans und all seinen Tätowierungen, er wirkte stark und verletzlich zugleich. Ich dachte an die Fabrik, die ich irgendwann gescoutet hatte, und mir war klar, was für eine Geschichte ich machen wollte. Wir haben darüber gesprochen, und er war sofort
Feuer und Flamme.
Der Look deiner Arbeit wirkt, als wäre er vom Steampunk beeinflusst. Welche Rolle spielen hier die von dir gewählten Farben?
Steampunk interessiert mich nicht wirklich, aber ich mag Science-Fiction und wollte einen dreckigen, eher warmen Look haben, der in diesem Fall auch ruhig etwas stärker ausgeprägt sein durfte.
Wie viel kreative Freiheit bleibt erhalten, wenn du kommerziell arbeitest? Gelingt es dir, ausreichend schöpferische Freiräume zu bewahren?
Das kommt sehr auf den Job an. Schöpferische Freiheit klingt so groß, sicherlich kann man sich mal stärker, mal weniger stark einbringen; es kommt auch sehr darauf an, wie viel im Vorfeld abgeklärt ist, und wie weit man involviert wird. Im Editorial-Bereich ist eher Input von meiner Seite erwünscht. Aber wie gesagt, mir macht auch einfach die Arbeit auf einem Shooting Spaß, die Herausforderung, das beste Ergebnis zu erzielen, die Teamarbeit, die Arbeit mit dem Menschen, den ich fotografiere, die spontane Kreativität. Für meine Entwicklung und schöpferische Freiheit kann ich mich ja bei freien Projekten ausleben, deswegen werde ich damit auch nie aufhören. Das Tolle ist doch auch, das man ja nie genau weiß, mit welchen Bildern man abends nach einem Shooting nach Hause kommt. Ich liebe es abzuwarten, was sich bei einem Shoot entwickelt, aber so können Agenturen natürlich nicht arbeiten, das war wohl früher anders.
Du hast die S on location eingesetzt, unter Bedingungen, bei denen sich das Licht nicht beliebig kontrollieren ließ. Zudem hat es geregnet. Bist du mit der Kamera zurechtgekommen?
Es war tatsächlich ungewöhnlich für mich, da ich sonst nicht im Mittelformat fotografiere. Mir hat es aber gut gefallen, weil ich mit anderen Anschnitten gespielt habe und die S mir irgendwie das Gefühl gab, einmal anders herangehen zu können. Man sollte immer mal wieder versuchen, seine Routine zu verlassen. Ich probiere gern unterschiedliches Equipment aus und bin sicherlich noch nicht fertig damit. Ich freue mich schon auf ein nächstes Mal. Und, ja, es hat wirklich kurz geregnet, das hatte ich inzwischen schon fast wieder vergessen. Da ist auch eine tolle Behind-the-Scenes-Aufnahme von David entstanden.