INTERVIEW
Mark de Paola
Leica S (Typ 007) mit Summarit-S 1:2.5/70 ASPH. (CS); Leica SL mit Noctilux-M 1:0.95/50 ASPH. und LEICA M (Typ 240)
Mark de Paola Sage Backstrom Ema McKie @ Heroes Models
Erfahrenes Fotografenauge trifft auf intuitiv-emotionales Beauty-Phänomen. Mit „Ema“ starten der bekannte Modefotograf und Werbefilmer Mark de Paola und das up-and-coming Model Ema McKie ihre Reise in einen kreativen Dialog – ein inspirierendes Langzeitprojekt mit offenem Ausgang.
Du hast in deiner langen Karriere als Modefotograf viele Werbekampagnen und Titelbilder für renommierte Magazine, aber auch als Regisseur zahlreiche Werbefilme produziert. Heute beschäftigst du dich vermehrt mit unabhängigen fotografischen Projekten. Was treibt dich da? Worum geht es hauptsächlich?
Das Ganze begann eigentlich mit einem Zufall, als ich in meinem New Yorker Studio eine Leica M240 mit f1-Noctilux auf eine Szene richtete, die ausschließlich vom Tageslicht, das durch das Fenster einfiel, beleuchtet wurde. Auf der Kamera blinkte die Nummer 60, und ich wusste erst gar nicht, was das genau zu bedeuten hatte. Dann wurde mir klar, dass ich jetzt entweder die Kamera zurücklegen oder einfach meinen Atem anhalten und die Kamera stillhalten konnte. Das Resultat war einfach umwerfend. Am nächsten Tag zeigte ich das Bild auf meinem Kameradisplay ein paar Freunden, die ihrerseits Experten in den Bereichen Kunst und Fotografie sind, und sie waren genauso schockiert wie ich. Aus diesem einzelnen Bild entsprang dann die Serie, die nun den Titel ,,60 Seconds” trägt. Für mich begann damit eine neue Ära in Bezug darauf, was ich als Kunst betrachte. Im Laufe meiner Karriere erhielt ich zahlreiche Anfragen bezüglich Ausstellungs- und Buchprojekten. Aber meine Antwort war immer, dass meine Arbeit meine Kunst ist. Dieses Einzelbild hat etwas aus dem Inneren meiner Seele hervorgebracht – ein Element, das meine Arbeit nun ungemein bereichert und das in gewisser Weise mein Leben verändert hat. Was mich fast fieberhaft vorantreibt ist das Bestreben, Emotionen zu verbildlichen, anstatt ausschließlich auf einer Basis von Erfahrung und Fachwissen zu arbeiten, wie ich es früher vorwiegend gemacht habe. In meiner Arbeit geht es auch um mich selbst, nicht nur um meine Fähigkeiten als Fotograf.
Du arbeitest seit einiger Zeit an einem Langzeitprojekt mit dem vielversprechenden Model Ema McKie. Was ist so besonders an dieser Model-Fotograf-Beziehung? Und erzähl uns doch mal, worum es in diesem Projekt geht, aus dem wir hier im S Magazin einige Auszüge präsentieren.
Wir arbeiten eigentlich erst seit relativ kurzer Zeit an diesem Projekt – und obwohl wir schon seit Jahren befreundet sind, haben wir vorher noch nie zusammengearbeitet. Ema ist mit meinem engen Freund Bil Brown verheiratet, ein außerordentlich talentierter Leica-Fotograf. Obwohl wir in derselben Branche arbeiten, beschränkte sich unsere Bekanntschaft immer aufs Private; wir sprachen praktisch nie über unsere Arbeit. Ema ist auch eine großartige Malerin, sodass unsere Gespräche meistens eher in diese Richtung gingen. Wenn wir uns in derselben Stadt befanden, versuchten wir stets, uns auf einen Kaffee zu treffen. Eines Tages sagte ich am Ende eines solchen Treffens: ,,Vielleicht sollten wir mal ein paar Fotos machen.“ Wir gingen nach draußen, ich hob die Kamera an und knipste ein einziges Bild, ohne überhaupt hinzuschauen. Dann spazierten wir weiter. Unsere Beziehung als Model und Fotograf basiert auf dem Vertrauen und der Ungezwungenheit einer guten Freundschaft. Seither machen wir gemeinsame Fotos, wann immer sich die Möglichkeit bietet. Ich glaube, diese gegenseitige Sympathie und künstlerische Kompatibilität gibt den Bildern eine Qualität, die über die rein professionelle Beziehung zwischen Fotograf und Model hinausgeht. Man spürt vielleicht eine Art der Verbindung, die wohl nicht allzu oft vorkommt – weder im Leben noch in der Kunst.
Hat Ema deiner Meinung nach das Potenzial, eines der ganz großen Models zu werden – und wenn ja, weshalb?
Ich habe mit vielen der weltgrößten Models gearbeitet, und Ema gehört schon jetzt zu den Meisterinnen ihres Fachs. Zurzeit entfaltet sich ihre Magie so richtig. Sie arbeitet bereits mit einigen der größten Talente der Branche, und ihre Popularität nimmt in Windeseile zu – es ist eine Freude, ihren Aufstieg mitzuverfolgen. Ema verfügt über das gesamte Spektrum von Eigenschaften, angefangen von der inneren Fähigkeit, die Vision des anderen intuitiv zu erfassen und diese auf einer emotionalen und künstlerischen Ebene zu unterstützen.
Natürlich ist sie eine absolute Schönheit, aber darüber hinaus ist sie auch einfach magisch.
Du fotografierst mit verschiedenen Leica-Kameras. Welches Modell benutzt du am liebsten und für welche Art von Bildern?
Ich bin auf alle Fälle überzeugter M-Fotograf – Stichwort: Noctilux mit offener Blende. Das ist sozusagen die Grundlage meines Lebenswerkes. Momentan arbeite ich außerdem sehr viel mit der Leica S, kombiniert mit dem 70-mm-Summarit und dem 100-mm-Summicron; und ich fotografiere auch gern mit dem Noctilux an der Leica SL.
Welche Rolle spielen dabei die Objektive? Sind deine Bilder so, wie sie sind, weil du mit Leica-Objektiven arbeitest – oder arbeitest du mit Leica-Optiken, weil sie bestimmte Eigenschaften haben, die du für deine Fotos haben willst?
Beides trifft natürlich gleichermaßen zu. Ich habe mein erstes Noctilux im Jahr 1975 gekauft; es war eines der ersten 300 Exemplare, die produziert wurden, und ich habe es immer noch. Ich weiß nicht, ob es irgendjemanden gibt, der so extensiv mit dem Noctilux fotografiert hat wie ich. In jedem Handwerk und jeder Kunstform bedarf es Zeit und Übung, mit seinem Werkzeug umgehen zu lernen – sei es ein Objektiv oder ein Musikinstrument. Ich entscheide mich für Werkzeuge, die meine Vision repräsentieren können. Leica-Objektive stimmen perfekt mit meiner Einstellung und meinem künstlerischen Zugang überein.
Viele deiner Bilder zeugen von einem sehr spezifischen Umgang mit Unschärfe. Was ist deine Vorgangsweise und in welcher Beziehung steht sie zu den eingesetzten Objektiven?
In meinen Vorträgen befasse ich mich oft mit der Neurobiologie des menschlichen Sehsinnes. In unserer visuellen Wahrnehmung – und demnach auch in fotografischen oder filmischen Abbildungen – sind es besonders die unscharfen Bereiche, die uns emotional ansprechen. Was Leica-Objektive so besonders interessant macht, ist nicht nur ihre Aufzeichnung von Schärfe und dem Schärfeabfall am Bildrand, sondern auch ihre Art, Unschärfe wiederzugeben. Ich verbringe viel Zeit damit zu experimentieren.
Gibt es in deiner Arbeit eine Art Grundregel, die du zu befolgen versuchst? Gibt es No-Gos, die für dich nicht infrage kommen? Ich glaube, du gehst nicht höher als ISO 100 und vermeidest Blendenöffnungen über 2?
Einfach drauflos fotografieren! Manchmal ist es wichtiger, etwas, das man sieht oder fühlt einzufangen, anstatt sich allzu lange mit Methodik und Perfektion aufzuhalten. Und ja, es gibt gewisse Regeln: Bleib bei der maximalen Blendenöffnung oder dem niedrigsten ISO-Wert und lass dich überraschen – die Resultate könnten erstaunlich sein.
Du arbeitest oft mit Leica Galerien zusammen und hältst Seminare, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Was vermittelst du dort, und woran liegt deiner Meinung nach ihr Erfolg?
Ich bestärke die Teilnehmer darin, ihre eigene Stimme zu finden – etwas zu produzieren, das wirklich nur sie erschaffen können; ich ermutige sie, sich ihre Einzigartigkeit zunutze zu machen und ihre Persönlichkeit und individuelle Biografie als Basis für ihre Fotografie zu nehmen.
Dein Buch „Recent Work“ wurde kürzlich in die Sammlung des MoMA in New York aufgenommen. Inwieweit reflektiert dieses Buch deinen fotografischen Ansatz, und weshalb wurde es vom MoMA ausgewählt?
Das Buch repräsentiert meinen Ansatz durch und durch. Es ist ein klares und vollständiges Beispiel meiner Arbeit zu diesem Zeitpunkt. Die zweite Frage werde ich dem Museum demnächst selbst stellen, aber ich denke einfach, sie erkennen darin einen gewissen Mut und einen einzigartigen Beitrag zum fotografischen Dialog.