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Biology of the Urban · Fred Mortagne 1 / 1
Interview

INTERVIEW

Fred Mortagne

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© Stéphanie Argentier

Fotografie: Fred Mortagne Kamera: Leica SL mit Vario-Elmarit-SL 1:2.8-4/24-90 ASPH. und APO-Vario-Elmarit-SL 1:2.8-4/90-280

Fred Mortagne fotografiert in Seitenstraßen, leeren, vernachlässigten Gegenden und abseits von Klischees. Seine Bilder sind sensible, poetische und kritische Beschreibungen der Welt in ihrem Detail.

Was erzählen Fassaden von ihren Gebäuden?
Eigentlich nicht sehr viel. Sie sind wie die Haut eines Lebewesens, im wahrsten Sinne „Fassade“, ein Umschlag. Das Innere kann manchmal sehr enttäuschend sein, während das Äußere großartig ist, und umgekehrt. Bezogen auf meine Fotografie ist es so, dass ich die Gebäude selten betrete, also nicht über das äußere Erscheinungsbild hinausgehe.

Was fasziniert dich an der Fotografie von Flächen, Formen, Strukturen?
Erst vor Kurzem bin ich mir dieser starken visuellen Anziehungskraft bewusst geworden. Ich habe hauptsächlich Städte und städtische Umgebungen fotografiert, und deren Formen und Muster folgen einigen sehr natürlichen Prinzipien. Sich wiederholende Mikrostrukturen, die sich in Zellen, Atomen oder Genen finden lassen, sind die Basis jeder Lebensform. Durch die Fokussierung auf diese spezielle Art von Architektur habe ich die Möglichkeit, in einer völlig unnatürlichen, mit Beton übersäten Umgebung mit der Natur in Verbindung zu bleiben. In einer hektischen und chaotischen Außenwelt bringt es mir eine gewisse Ruhe, sogar eine Art subtile Entspannung.

Wie würdest du deine Fotografie selbst bezeichnen – als Architekturfotografie oder als Fotografie von Formen?
Definitiv lege ich mehr wert auf die Form. Als ich anfing, Architektur zu fotografieren, tat ich das ohne irgendeinen kulturellen Hintergrund, ohne Wissen. Und genau genommen halte ich diesen Mangel an Wissen aufrecht, um einen intuitiveren fotografischen Ansatz zu verfolgen. Ich richte mich nicht nach den Grundregeln der Architekturfotografie. Obligatorische gerade Linien? Nicht in meinen Bildern. Ich kann machen, was ich will, weil ich einer künstlerischen Herangehensweise verbunden bin, in der sich Regeln und Codes gleichsam verflüchtigen. Regeln sind der Feind der Fotografen.

Struktur statt Effekt – könnte man so deine fotografische Herangehensweise beschreiben?
Ganz sicher. Es verbindet sich mit etwas viel Tieferem und Sinnvollerem.

Fotografie bedeutet auch „sichtbar machen“ – sind die Elemente der Hausfassaden Objekte, die du in deinen Fotografien wieder zum Leben erwecken willst?
Fotografen greifen subtile Details des Lebens auf, die von den meisten Menschen unbemerkt bleiben. Das ist eines der Hauptmerkmale der Fotografie. Sie bringt Dinge ans Licht, die normalerweise im Dunkeln bleiben. Die Menschen können wählen, ob sie die guten Dinge und die gute Seite des Lebens sehen und ein glückliches Leben führen wollen oder aber das Gegenteil.

In welchen Ländern sind die Aufnahmen entstanden? Gibt es Unterschiede in den architektonischen Formen der Gebäude?
Die Serie ist vor allem in Frankreich entstanden. Das ist aber nicht die einzige Erklärung für eine gewisse Kontinuität und visuelle Verbindung zwischen den Bildern. Der allgemeine Ansatz meiner Arbeiten ist sehr spezifisch. Obwohl ich auf der ganzen Welt fotografiere, strebe ich nach einer universellen Ästhetik, spiele nicht mit den kulturellen Besonderheiten jedes Ortes und Landes. Das bedeutet: Ich suche nach ähnlichen Umgebungen und Atmosphären, egal wo. Das bietet mir auch die Chance, die Globalisierung der Welt zu reflektieren und aufzudecken. Die westliche Welt führt eine Standardisierung des Planeten durch und indirekt auch eine Formatierung des menschlichen Geistes, wodurch seine ganze Vielfalt zerstört wird. Allem Anschein zum Trotz stehe ich als Humanist mit dieser Entwicklung nicht im Einklang – insofern ist ihre Darstellung in meiner Arbeit eher kritisch als enthusiastisch zu sehen.

Du hast für deine Serie die Leica SL und die beiden Zoomobjektive 24–90 mm und 90–280 mm verwendet. Wie war deine Erfahrung?
Ich schätze diese Objektive sehr, weil ich die genaue Brennweite für meine äußerst präzisen Kompositionen exakt wählen kann. Die Qualität ist einwandfrei. Die Aufnahmen über 90 mm hinaus sind für mich neu, das Fotografieren mit Weitwinkelobjektiven eine andere Erfahrung gewesen. Es lädt zu einem subtileren Blick auf die Welt und ihre Details ein. Ich mag die Bilder des italienischen Fotografen Renato d’Agostin, der seine Vision auf bestimmte Details und Lebensbereiche einschränkt.

Neben den grafischen Elementen spielen auch die Farbe oder das „Farbtupferl“ eine Rolle auf deinen Bildern …
Ich habe die „natürlichen“ Farben beibehalten und alle anderen Farbinformationen gelöscht. Aber ich habe keine Farben hinzugefügt. Sie waren da, und ein reines Schwarzweiß hätte der Serie nicht gutgetan. Ich mag diese Bilder nicht, die London oder New York als Abklatsch roter Busse oder gelber Taxis zeigen, das ist mir zu kitschig und klischeehaft. Ich verwende diese Technik selten, aber für diese Bilder fühlte es sich genau richtig an. Wenn ich auf Gebäude mit interessanten Farben stoße, bin ich offen, damit zu spielen, um ihnen visuell zu huldigen.

Siehst du in den Formen von Hausfassaden zugleich auch Symbole? Wofür stehen sie?
Man könnte Gebäude und Frauen gegenüberstellen, und dies ist eine Aussage, die frei von Respektlosigkeit ist. Bestimmte Fassaden lassen sich mit schicken Kleidern vergleichen, die mit Juwelen und Make-up verziert sind. Der Architekt Oscar Niemeyer etwa ließ sich für seine Gebäude von den sinnlichen Kurven weiblicher Körper inspirieren. Für mich stellen Gebäude etwas dar, wozu ich keinen Zugang habe. Ich komme von der Straße, meine langjährige Leidenschaft gilt dem Skateboarding. Die Außenwelt übt eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich aus. Ich bin traurig, wenn ich drinnen arbeiten muss, während es draußen sonnig ist. Um Pierre Rabhi, den in Algerien geborenen Essayisten und Ökologen, zu zitieren: „Die entfremdete Menschheit wird von der modernen Welt in Kisten aller Art eingesperrt: Klassenzimmer, Büros, Häuser, Autos … Unser ganzes Leben, bis zum Ende, verbringen wir in Särgen.“ Aber ich lebe nicht in einer Box.